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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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uns allen nur ihm eigen war. In seinem Inneren gab es Widersprüche, die mir noch heute ein Rätsel sind. Wenn es darum ging, seinen Willen durchzusetzen, schob er alles andere beiseite – und das ist gottlos, ganz gleich, wer es tut. Martin war kein frommer Mann, und doch besaß er sehr viel Feingefühl, und wer ihm Vertrauen schenkte, konnte sich stets auf ihn verlassen.
       »Vielleicht versucht man, die Frau zu einem Geständnis zu bewegen, um ihres Seelenheils willen«, meinte Springer.
       »Ich habe herauszufinden versucht, ob sie schon ein Geständnis abgelegt hat«, sagte ich. »Doch der Kerl, den ich gefragt habe, hielt es für einen Scherz und gab mir keine Antwort. Und aus York kommt ein Richter in die Stadt; schon gestern abend wurde im Wirtshaus mit seinem Eintreffen gerechnet. Vielleicht wartet man deshalb.«
       »Jedenfalls ist dieser Richter bestimmt kein Gast des Barons«, sagte Tobias, »sonst würde er in der Burg Quartier beziehen.« Er zögerte einen Augenblick; dann fuhr er fort: »Da ist noch eine Sache … Sie betrifft zwar nicht diesen Mord, aber mir ist wieder der Name John Goody zu Ohren gekommen, der im gleichen Alter war wie der ermordete Junge, wie es scheint.«
       »Was meinst du mit ›wieder‹?« Stephen hob seine dichten Augenbrauen. »Ist dieser Name schon einmal gefallen?«
       »Heute morgen«, meinte Springer. »Es war heute morgen. Er gehörte zu denen, die der arme, einfältige Bursche genannt hat, der zu uns ans Feuer kam. Er sprach davon, Engel gesehen zu haben und Dinge, die zu hell für seine Augen waren.« Während er redete, hob Springer die rechte Hand, um die Gebärde nachzuahmen, die der Bettler gemacht hatte: die Handfläche nach außen gedreht, die Finger gespreizt und das Gesicht dahinter verborgen, wobei er durch diesen Schirm hindurchspähte, als gäbe es ein blendendes, verführerisches Bild zu sehen. »Er hat zwar wirres Zeug geredet, aber gewiß nicht, was die Namen betrifft «, sagte er. »Die waren deutlich zu verstehen.«
       »Wir haben auch ohne dies genug zu tun«, entgegnete Martin. In seiner Stimme lag Ungeduld; doch ich hatte nicht den Eindruck, daß diese Worte seine Empfindungen vollständig wiedergaben. Allerdings hatte er recht: Wir hatten wirklich einiges zu tun. Wir mußten unseren Umzug durch die Stadt machen und unsere Aufführung ankündigen, wenn möglichst viele Leute unterwegs waren.
       Wir unternahmen den Umzug zu Fuß; den Karren zu benutzen, wollten wir nicht noch einmal wagen. Wir trugen Fackeln und zogen in einer dicht geschlossenen Gruppe dahin, diesmal jedoch ohne großes Getöse. Martin hatte entschieden, unserem Umzug ein ernstes Gepräge zu geben, so, als wären wir zum Richtplatz unterwegs. Um die vollständige Zahl an Mitwirkenden zusammenzubekommen, mußten wir auch Margaret einspannen, sehr zum Mißfallen Martins, da sie ja nicht zur eigentlichen Schauspieltruppe zählte. Wie üblich trug Margaret ihr feines, wenn auch etwas schäbiges blaues Gewand mit den geschlitzten Ärmeln; dazu hatte sie sich die abstoßend häßliche Maske der Geldgier – Ursache des Verbrechens – vors Gesicht gebunden. Stephen schritt als der Herrgott voran, der alles sieht; er trug sein langes weißes Gewand, einen hohen Hut und eine vergoldete Maske. Springer war in ein rotes Kleid gewandet und hatte dieselbe flachsfarbene Perücke auf dem Kopf, wie er sie als Eva trug, doch war sein Gesicht jetzt nicht maskiert, weil Verurteilte nichts tragen durften, wohinter sie ihr Antlitz verbergen konnten. Springers Hals steckte in einer Schlinge mit einem kurzen Strick, der vor ihm baumelte. Tobias, der als Scharfrichter hinter ihm herschritt, trug eine Art Helm mit Augenlöchern, den Margaret aus irgendeinem schwarzen Material gefertigt hatte. An einer Kordel um die Brust trug Tobias in Bauchhöhe eine Trommel, die er mit der rechten Hand schlug, stets denselben Ton, mit dem er den Rhythmus unserer Schritte vorgab. Straw war der Tod, in einem Gewand mit Kapuze; sein Gesicht war mit einer Mischung aus Kreide und Wasser weiß bemalt. Martin hatte sich die Teufelsmaske aufgesetzt, die ich im Stück von Adam getragen hatte, und er hüpfte und tanzte, um zu zeigen, wie sehr die Hölle sich darauf freute, diese Frau zu verschlingen. Ich war der Gute Rat und hatte praktisch nichts zu tun, da mein Rat ja nicht beachtet worden war, doch machte ich von Zeit zu Zeit die Geste des Kummers. Für diese Rolle hatte ich wieder meine Priesterkleidung

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