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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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säumten, wirkten im reinen Weiß des Schnees wie angedunkeltes Silber, und die Schafe sahen vor diesem Hintergrund schmutzig aus.
       Ich kann mich gut an diesen Fußmarsch erinnern. Ich war wieder frei, war wieder auf Schusters Rappen unterwegs, ohne diesen Alptraum vom Tod des Jungen als Begleiter. Mit raschen Schritten stieg ich die Hänge hinauf, und ich spürte die Jugend meines Blutes. Wie auch die anderen, bevor wir allesamt aufgebrochen waren, hatte ich mir Stücke aus Zeltleinwand um die Schuhe gebunden und mir die Beine unterhalb der Knie mit Tuch umwickelt, und bisher waren meine Füße halbwegs trocken geblieben. Ich sah die Fährte eines schnürenden Fuchses, die ins Gebüsch führte.
       Ich begegnete einem Mann, der ein Bündel getrockneter Stechginsterzweige auf dem Rücken trug – Holz zum Anmachen des Feuers, das er tief im Wald aus den Sträuchern herausgeharkt hatte, wo es sich trocken hielt. Ich erkundigte mich bei ihm, ob er das Haus von John Lambert kenne. Mir schien, daß der Mann mich mit seltsamen Blicken musterte, und ich fragte mich, ob er sich von der Aufführung her an mein Gesicht erinnerte. Doch mein Umhang war sehr weit, weil die Gestalt der Avaritia es so erforderte; normalerweise hätten zwei Personen von meiner Statur hineingepaßt. Außerdem war der Umhang von altmodischem Zuschnitt. Und überhaupt wirkt der Blick des Menschen stets sonderbar. Der Mann zeigte den Hang hinauf, auf eine Hütte, aus Steinen erbaut, die von einem Holzzaun umgeben war. Es war eine Behausung mit einem Stall für das Vieh und einem Wohnhaus, die Seite an Seite standen, wobei der Eingang sich in der Mitte befand. Durch ein Loch im strohgedeckten Dach stieg dünner Rauch in den Himmel. Ich ging über den Hof, und Gänse senkten die Köpfe, als sie mich erblickten, und ließen ein wildes Geschnatter ertönen. Ich rief laut und wartete dann auf den Schieferplatten vor der Türschwelle. Der Schnee war weggefegt worden, und auf einer der Platten war eine dünne, getrocknete Haut von Blut, wo ein Schwein geschlachtet worden war. Nach einigen Augenblicken des Wartens hörte ich, wie der hölzerne Riegel zur Seite gezogen wurde, und dann stand ein hochgewachsener Mann mit hagerem Gesicht auf der Türschwelle und musterte mich ohne Freundlichkeit.
        »Was gibt’s?« fragte er. »Was wollt Ihr von mir?« Seine Stimme war kräftig und ein wenig rauh, wie von allzu häufigem Gebrauch.
       »Mich schickt der Richter des Königs, der in die Stadt gekommen ist«, sagte ich. »Er möchte sich von der Schuld Eurer Tochter überzeugen. Man hat mich zu Euch gesandt, daß ich mich näher mit der Angelegenheit befasse und darüber Bericht erstatte.«
       Sein Blick schweifte langsam über mich hinweg, über den Hut, den Umhang und die Lappen, die um meine Füße und Beine gewickelt waren. Der Mann besaß fahle, beinahe farblose Augen, die wie gebleicht aussahen und tief in den Höhlen lagen. »Vom Richter des Königs kommt Ihr?« sagte er. »Nun denn, tretet ein.«
       Im Inneren des Hauses war es fast so kalt wie draußen. Ein kleines Feuer aus Holzspänen brannte in einem gemauerten Herd in der Mitte des Zimmers, und der Rauch davon hing in der Luft. Der Webstuhl des Mannes stand nahe bei dem einzigen Fenster, und seine schmale Schlafpritsche war dicht an eine Wand gerückt. Dahinter befand sich eine Tür, die vermutlich in das Zimmer führte, in dem die Frau geschlafen hatte. Der Weber stand da und sah mich an. Im Zimmer gab es einen Stuhl mit hoher Rückenlehne, aber der Mann forderte mich nicht auf, Platz zu nehmen. Er war groß und breit, doch sein Körper wirkte ausgezehrt, was entweder auf eine Krankheit oder auf Unterernährung zurückzuführen war. Er hob die Hände und krümmte die Finger, die vor Kälte dunkelrot waren. Es waren dicke, kräftige Finger – kräftig genug, einen Jungen oder einen Mann zu erwürgen. Auf irgendeine Weise füllte er das Zimmer aus, so daß ich das Gefühl hatte, nicht genug Platz zu haben. Ich zog mir den Umhang straffer um die Schultern, damit der Mann nicht Brendans zerlumptes Wams darunter sah. »Mein Herr schickt mich«, sagte ich, »um Erkundigungen einzuziehen, wie es an jenem Morgen gewesen ist, als der Hofkaplan des edlen Herrn de Guise hierher zu Eurem Haus kam und das gestohlene Geld fand. Nun stellt sich die Frage, warum …«
       »Der Mönch hat hier kein Geld gefunden«, sagte er mit bedächtiger, wenngleich ein wenig rauher Stimme. Es war eine

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