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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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in Saus und Braus zu führen. Wir hungern, während die hohen Herren schwelgen; wir stöhnen, während sie singen. Doch wird es an ihnen sein zu stöhnen, wenn erst der Tag kommt …«
       »Was wird mit ihnen geschehen?« fragte ich.
       »Sie werden brennen«, sagte er und starrte vor sich hin, als würden die Flammen bereits lodern. »Sie werden allesamt ins Feuer kommen mit ihren Hunden und Pferden und Huren, die sie von unseren Erträgen kleiden und beköstigen. Und auch die Juden, die Christus gekreuzigt haben und davon leben, daß sie Geld brüten, werden ins Feuer geworfen. Und außerdem werden die Kleidermacher und Tuchhändler in die Flammen kommen, diese Halunken, die untereinander die Preise absprechen und den Webern die Früchte ihrer Arbeit vorenthalten. Warum sollte der Mönch nur des Mädchens wegen kommen, wo sie doch behindert ist? Was sollte er davon haben?«
       »Behindert?«
       »Ich muß jetzt arbeiten«, sagte er mit bitterer Stimme und zeigte auf den Webstuhl.
       »Als der Mönch das Geld fand, glaubte er da immer noch, Ihr wärt irgendwo im Haus oder in der Nähe?«
       »Hätte er’s nicht geglaubt, hätte er das Geld niemals gefunden.« Wieder spürte ich, wie mein Verstand sich schmerzhaft an der Logik des Webers stieß, die fest wie ein Fels war. Wie auf einer Kreisbahn lief alles stets wieder zu ihm zurück. Er wußte um alle Pläne – um die des Mönchs, ihn wegen Mordes zu verurteilen, und um die Gottes, die Reichen zu bestrafen.
       »Doch inzwischen war es zu spät«, sagte er. »Als sie das Geld erst entdeckt hatten, mußten sie ja irgend jemanden mitnehmen.«
       »Ist Eure Tochter auch ein Kind des Geistes?«
       »Sie kann nicht Zeugnis ablegen«, sagte er. »Manchmal hat sie mich zu den Versammlungen der Bruderschaft begleitet.«
       Ich wandte mich zum Gehen. »Wie heißt sie eigentlich?« fragte ich.
       »Sie heißt Jane.« Als er den Namen sagte, nahm sein Gesicht einen weicheren Ausdruck an. »So hieß auch ihre Mutter«, fügte er hinzu. »Meine Frau und ein Sohn von mir starben an der Pest; mein älterer Sohn ließ zwei Jahre später sein Leben. In dem Jahr herrschte eine Hungersnot, an der wir fast alle zugrunde gingen. Hier sind mehr Menschen Hungers gestorben als an Krankheiten.« Er sprach jetzt schneller, und seine Lider hoben sich, als er mich anstarrte. »Ich verfluche ihn, der mir die Tochter nahm, so daß ich jetzt allein bin«, sagte er. »Möge er in Blut sterben. Ich verfluche all jene, welche das Volk Gottes ausplündern und im Wohlleben schwelgen und die uns nach Ellen bezahlen, anstatt uns zu erlauben, unser eigenes Tuch zu verkaufen. Der Jüngste Tag ist nicht mehr fern; bald ist die Zeit gekommen …«
       An der Tür blickte ich zurück. Er hatte sich nicht bewegt. Ich begegnete seinem Blick, und mir schien, daß Tränen in seinen Augen schimmerten. Doch seine Stimme klang unverändert, geübt und rauh vom vielen Reden. »Sie kann nicht Zeugnis ablegen«, sagte er. »Aber ich kenne sie. Nicht mal eine Maus würde sie töten oder eine Wespe, die sie gestochen hat, ganz zu schweigen von einem Menschenkind.«

Kapitel elf 
    ch ging durch den Schnee zurück und dachte über den Weber und seine Worte nach. Wind kam auf und peitschte den lockeren Schnee zu Wehen zusammen. Ich wollte wieder zurück zum Wirtshaus und nahm den Weg über den Markt, weil es der kürzeste war. Die Glocken läuteten, und einige der fahrenden Händler waren bereits dabei, ihre Stände abzubauen. Es war zwar noch nicht dunkel, doch das Licht schwand rasch, und die Luft wurde kälter. Ich sah Martin unterhalb der Plattform stehen, auf der ein Mann Heiltränke verkaufte. Er bemerkte mich erst, als ich unmittelbar neben ihm stand, so aufmerksam hörte er dem Marktschreier zu. »Von diesem Burschen könnten wir einiges lernen. Achte mal darauf, wie er spricht und sich bewegt und seine Pausen bemißt. Er hat die Leute in seinen Bann gezogen. Er macht ihnen weis, sie könnten sich für zwei Pence das ewige Leben kaufen.« In seiner Stimme lag eine gewisse Erregung – mehr, als dem Thema angemessen war. »Da wir uns nun schon getroffen haben«, sagte er, »kannst du gleich mit mir gehen. «
       »Mit dir gehen? Wohin denn?«
       »Wir werden die Frau besuchen«, sagte er. »Wir gehen zum Gefängnis, Nicholas. Komm, wir können uns sofort auf den Weg machen. Die Glocken haben zu läuten angefangen.«
       Und während wir über den Markt zurückgingen,

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