Die Masken der Wahrheit
von dem Turnier geredet, das morgen beginnt, und von dem Tanz, der am Weihnachtstag stattfindet.«
»Sir Richard und seine Gemahlin werden mit dem Tanz beginnen, sobald sie von der Messe kommen«, sagte Springer. »Die Leute haben nur davon gesprochen und vom Kummer des jungen Herrn; er heißt William und ist der einzige Sohn des Hauses. Man sagt, daß er ein stattlicher Bursche ist und ein tapferer Ritter und daß er die Viola sehr gut zu spielen versteht.«
»Der junge Herr hat Kummer? Weshalb?«
»Das wissen die Leute nicht. Einige sagen, er verzehrt sich vor Liebe. Man hat ihn seit mehreren Tagen nicht gesehen; er ist in seinem Gemach geblieben. Er hat es nicht einmal verlassen, um sein Streitroß für den Lanzenkampf einzureiten oder sich um seine Waffen zu kümmern – und das ist sehr sonderbar für einen Mann, von dem alle Leute sagen, daß er mit Leidenschaft an solchen Turnieren teilnimmt und für sein Können berühmt ist. Die Sache wird noch seltsamer, wenn man bedenkt, daß dieses Turnier eine Gelegenheit für William wäre, großen Ruhm zu ernten, weil Ritter aus vielen Teilen des Landes daran teilnehmen.«
»Tja, die Launen der Edelleute sind für ihre Speichellecker von größerem Interesse als der Mord an einem Kind«, sagte Martin, und zum erstenmal seit unserer Rückkehr aus dem Gefängnis verlor sein Gesicht jenen Ausdruck von Abwesenheit, aus dem Liebe sprach; statt dessen spiegelte seine Miene nun Bitterkeit wider. »Ja«, sagte er, »so bleibt der junge Herr also in seinem Gemach, wenn ihm danach zumute ist. Gemessen an der Unpäßlichkeit dieses edlen Herrn zählt es nichts, daß man die Tochter des Webers der Behauptungen eines verlogenen Mönchs wegen aufhängen wird.« Er stöhnte plötzlich und hob die Hand, um sein Gesicht dahinter zu verbergen. »Man wird sie hängen «, wiederholte er.
In diesem Augenblick, während wir ihn bestürzt in seinem Leid betrachteten, kam Stephen herein und fluchte, als er mit dem Fuß gegen die Tür stieß. Er war betrunken und nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, doch seine Stimme klang noch ziemlich klar, als er uns begrüßte. Er war eine Zeitlang durch die Stadt geschlendert und hatte dann eine Bierschenke unweit der Kirche aufgesucht – ohne besonderen Grund, wie es schien, nur um zu trinken. Das war so seine Art, wenn er beunruhigt oder verängstigt war. Er hielt es für unmännlich, sich zu solchen Gefühlen zu bekennen, und anders als Springer oder Straw oder sogar Tobias konnte er sich keine Erleichterung verschaffen, indem er herumalberte. In der Schenke hatte Stephen den Totengräber wiedererkannt, der Brendans Grab und auch das von Thomas Wells ausgehoben hatte. Er hatte mit dem Mann gesprochen, und sie hatten gemeinsam getrunken, vor allem auf Stephens Kosten, und waren vertraulich geworden.
»Für das Grab des Jungen ist bezahlt worden«, sagte Stephen jetzt, während er dasaß, den Rücken an die Wand gelehnt, die langen Beine ausgestreckt. »Dieser Totengräber sagt, der Verwalter des Barons habe den Priester bezahlt. Er sagt, er hätte sie zusammen gesehen. Die Kirchentür stand ein Stückchen offen, sagt er, und die beiden waren drinnen und standen in der Nähe des Taufbeckens. Er hat beobachtet, wie sie miteinander redeten, und gesehen, wie Geld den Besitzer wechselte. Darauf gab der Priester dem Totengräber zwei Pence für seine Arbeit. Er hob das Grab aus, hat aber nicht gesehen, daß der Junge hineingelegt wurde.«
»Was sagst du?« Springers Augen waren rund wie die einer Eule. »Ob da wohl irgendeine Hexerei im Spiel ist?« fragte er.
»Es war an dem Tag, bevor wir Brendan unter die Erde brachten.« Stephen hielt inne, und auf seinen dunklen Bartstoppeln schimmerte das Licht. »Der Tag, an dem wir in diese verfluchte Stadt kamen«, sagte er. »Der Junge wurde hierhergebracht und noch am selben Abend begraben. Als der Totengräber am nächsten Morgen kam, um Brendans Grab fertig auszuheben, lag der Junge bereits unter der Erde. Der Totengräber weiß nicht, wer diese Arbeit getan hat, oder ob der Junge in Leinen oder Sacktuch beigesetzt wurde; auch einen Sarg, wie behauptet, hat er nie gesehen. Niemand hat ihm etwas gesagt, und er hat sich nicht zu fragen getraut, weil er den Verwalter des Barons dort gesehen hatte.«
»Die Leute haben allen Grund, das Mißfallen des Barons zu fürchten «, sagte ich und dachte an die beiden Arbeiter, die im Kerker angekettet waren. Es kam mir
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