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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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Unschuld offenbart«, sagte er. »Und so verleiht Gerechtigkeit den Stummen eine Stimme.«
       An dieser Stelle hätten wir enden können. Der Text gab einen guten Schluß ab; die Worte paßten. Wir waren erschöpft. Ich konnte das Zittern meiner Knie spüren, und trotz seiner gezierten Schritte sah Straw aus, als würde er jeden Moment in Ohnmacht fallen. Doch irgendein Engel der Zerstörung trieb Martin voran. Er blickte noch immer auf die Zuschauer, und sie waren es, zu denen er nun sprach: »Noch hat es keine Gerechtigkeit gegeben, Ihr guten Leute. Warum wurde der Mönch gehängt? Wenn wir wissen warum, werden wir erfahren, wer’s getan hat. Die Auffindung des Knaben ist der Schlüssel zu aller Rätsel Lösung. Thomas Wells war der fünfte Junge. Er war derjenige, der gefunden wurde. Wenn nun der Mönch den Thomas Wells mitgenommen – ist es dann nicht wahrscheinlich, daß er auch die anderen Knaben mitnahm? Doch der Mönch wurde nur für diesen einen Jungen bestraft, den man gefunden hat. War dies der Grund für die Strafe? Weil er dafür sorgte, daß man die Leiche fand?«
       Selbst jetzt noch trieb uns irgend etwas an, Martin zu folgen; wir konnten ihn nicht allein lassen.
       »Wer immer den Mönch gehängt hat, tat es nicht, weil man mich tötete, sondern weil man mich fand«, sagte Springer. »Daß ich ermordet wurde, zählte für ihn gar nicht.« Seine Stimme klang weinerlich. Mitleidiges Gemurmel durchlief die Menge, und irgend jemand rief laut, er solle sich nichts daraus machen; schließlich weile er jetzt in Abrahams Schoß.
       »Du Ärmster. Sie wollten nicht, daß man dich fand«, sagte Tobias, und auch seine Stimme klang zittrig, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Er machte die Geste für ›Frage‹. »Wer kann uns sagen, was der Grund dafür war?«
       »Weil mein Körper Spuren zeigte«, entgegnete Springer. Er sprach die Worte, als würden sie ihm vorgesagt. Und auf seinem weißen Gesicht spiegelte sich das Wissen um Thomas Wells’ Leiden wider.
       »Wenn dein Körper Spuren trug, waren auch die Körper der anderen Jungen gezeichnet.« Straw hob die rechte Hand und machte die Geste für ›zählen‹, wobei der Daumen an die Fingerspitzen getippt wird. »Eins-zwei-drei-vier-fünf …«
       Auch Stephen hatte Tränen vergossen, die Bahnen in die silberne Schminke auf seinem Gesicht gezogen hatten. Er schwenkte seinen Stab. »Hat die Mutter den Leichnam ihres Sohnes gesehen?« fragte er.
       »Nein, hat sie nicht«, rief eine Frau aus der Menge. »Sie sagte mir, man hätt’ sie nicht zu ihm gelassen.«
       »Wer hat gesehen, wie der Knabe begraben wurde?« Martins Stimme erfüllte den Hof. Er schaute uns an, während er die Frage stellte, und wir antworteten gemeinsam in einem mißtönenden Chor: »Es war der Verwalter des Barons.«
       Wieder erscholl Martins laute Stimme, verlangte nach Antwort: »Wem hat der Mönch gedient?«
       Wieder, als würden wir dazu angetrieben, entgegneten wir wie aus einem Munde: »Er war der Beichtvater des Barons. Er hat dem edlen Herrn gedient.«
       Während wir antworteten, hatten wir uns dichter zusammengedrängt, einem inneren Antrieb gehorchend, der uns befahl, gleichsam ein einziges Wesen zu bilden, mit einem Körper und einer Stimme. Das Wirtshaus im Rücken, blickten wir über den Hof. Martin stand ein paar Schritte von uns entfernt; er hatte sich so hingestellt, daß er uns und die Zuschauer gleichzeitig im Auge behalten konnte. Er schien eine weitere Frage stellen zu wollen; aber ich glaube, sie galt nicht uns. Sein Gesicht wirkte gefaßt und unbekümmert, und sein Blick war fest. So hatte er ausgesehen, als er von dem stummen Mädchen gekommen war. Und so hatte der Vater des Mädchens ausgesehen, als er den Flammentod der Verderbten prophezeit hatte …
       Während wir Martin noch beobachteten, veränderte sich schlagartig sein Gesichtsausdruck. Ich hörte verwirrte Stimmen aus dem Publikum, und hinter mir das Rasseln und Klirren bewaffneter Männer. Als ich mich umdrehte, befanden sie sich bereits auf der Bühnenfläche. Wir waren umzingelt. Die Männer waren nicht zum Tor hereingekommen, sondern durch das Wirtshaus. Einige trieben bereits die Leute vom Hof.
       »Ich bin Geistlicher«, sagte ich zu dem Mann, der den Trupp anzuführen schien, und hoffte, auf diese Weise einer Festnahme durch die Laienschaft zu entgehen.
       Der Mann betrachtete mein fleckiges und verstaubtes Gewand und lächelte

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