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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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teilzunehmen: »Jetzt ist’s zu spät für Simon Damian, auf ewig zu spät das Gebet, das der Herrgott Bileam in den Mund legte: Meine Seele möge sterben den Tod der Gerechten . Zu spät, auf ewig zu spät.«
       Die Schauspieler standen dort, noch immer in dichtem Halbkreis, noch immer bewegungslos. Die Angst des Publikums hatte sie ihrer Rollen beraubt, und ihnen blieb kein anderer Ausweg als die Regungslosigkeit. Doch dieser Stille mußte ein Ende gemacht werden. »Der Mönch hat seine Stellung mißbraucht«, sagte ich, »und Gott hat ihn dafür gestraft. Was sagt die Menschheit?«
       Tobias sprach, doch immer noch, ohne sich zu rühren. »Alle Macht auf Erden kommt von Gott«, sagte er.
       »Ein wahres Wort. Denn ich, die Wahrheit, kann es bestätigen«, sagte Stephen, und er wandte sein silbernes Gesicht dem Publikum zu.
       Straw war der erste, der aus dem Halbkreis ausbrach, den die anderen gebildet hatten, um gemeinsam die Prügel über sich ergehen zu lassen, die sie erwartet hatten. Er machte einen Schritt zur Seite und richtete seine Worte direkt an mich:
       »Macht kommt von Gott, ganz ohne Lügen,
       Nicht um die Menschen zu betrügen …« 
      Ich hatte damit gerechnet, daß Springer am längsten brauchen würde, sich wieder zu fassen; dabei hatte ich allerdings den Mut der Ängstlichen vergessen, der darin besteht, daß sie sich sehr schnell wieder in der Gewalt haben. Springer entfernte sich ein Stück von den anderen und sprach seinen Text ohne Zittern in der Stimme:
       »Wer das Volk mißbraucht, der beugt das Recht,
       Wenn nur den Wanst sich stopfen er möcht’.« 
      Jetzt fielen Stephen ein paar Zeilen aus einem Zwischenspiel ein, bei dem er mitgewirkt hatte. Die Verse paßten zwar nicht besonders gut zum Thema der mißbrauchten Macht, dafür aber um so besser zu Stephen:
       »In England und Frankreich hat der König die Macht,
       Daß es so bleibt, darauf gibt er wohl acht …« 
      Martin bemerkte, daß wir anderen uns wieder fingen. Nun hob er mir grüßend die Hand entgegen und drehte sie zugleich im Gelenk nach innen: die Geste für ›Frage‹: »Sei gegrüßt, Guter Rat. Mit Freuden heißen wir dich willkommen. Sag, hast du den Toten aus der Nähe gesehen? «
       »So nahe, wie ich dich jetzt sehe, Bruder.« Nun erst wurde mir klar, daß noch keiner der anderen wußte, auf welche Art und Weise der Mönch gestorben war, weil sie alle auf der Bühnenfläche verharrt hatten. »Vom Seile erwürgt kam der Mönch zu Tode«, sagte ich.
       »So war sein Ende dem meinem ähnlich«, sagte Springer und gab seiner Stimme wieder einen so hohen Klang, daß sie sich wie die eines Kindes anhörte.
       Die Menschheit stand unweit der Hofmauer, und von hinten schimmerte Licht auf seinem schütteren Haar:
       »Der Mönch hat sich selbst in die Hölle gebracht,
       Drum halten wir ihm keine Totenwacht …« 
      Worauf sofort wieder Rufe laut wurden. Diesmal klangen sie zwar nicht drohend, jedoch verwirrt, so daß es zuerst schwierig war, den Grund dafür auszumachen. Dann aber vernahmen wir: »Seine Hände waren gefesselt! An seinen Handgelenken waren noch die Male vom Seil!«
       Stephen, immer noch mit dem Stab in der Hand, trat einen Schritt nach vorn. Er schien jetzt nüchtern zu sein; wahrscheinlich eine Folgeerscheinung der Angst. »Ich bin die Wahrheit, wie jedermann sehen kann«, sagte er mit tiefer Stimme. »Jene, die den Mönch fesselten haben ihn auch gehängt. Also hat er bezahlt. Denn wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch vergossen werden. So steht es geschrieben.«
       Doch an der Sache stimmte irgend etwas nicht. Ich erinnerte mich wieder an den Mönch, wie er über dem Rücken des Maultiers gelegen hatte. Ein weißes Hemd, wie Büßer es tragen. Oder Missetäter, die zur Hinrichtung geführt werden. Wer immer dem Mönch die Hände gefesselt hatte, hatte ihm auch diese Kleidung angelegt. Konnten die gemeinen Leute das getan haben? Jeder hätte ihn fesseln und hängen können, gewiß, doch ihn so zu kleiden … Man hatte ihn in ein Kostüm gesteckt, hatte eine Art Schauspieler aus ihm gemacht, einen Tänzer auf einem Seil. Aber wer? Es konnten nur jene gewesen sein, die nach dem Kalkül und in der Sicherheit der Macht handeln. Oder jene, die glauben, daß Gott zu dem Gott in ihrem Inneren spricht …
       Straw kam in seinem Gewand und seiner Perücke mit Trippelschritten nach vorn. »Indem der Mönch gehängt, ward meine

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