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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wie ein Zimmerbrunnen, ein Wasserfall, in dem das Wasser von unten nach oben stürzte. In der Bibliothek, nur ein paar Schritte weiter, stand ein klackerndes Perpetuum mobile, ein Mechanismus aus Schwungrädern, Hebeln und Gelenken, der sich, einmal in Gang gesetzt, ewig bewegte. Auch der kleine Sturm im Wasserglas faszinierte Arian. Für Ikela waren diese erstaunlichen Dinge wahrscheinlich nur Fingerübungen, exotische Gaukeleien.
    Tarin wandte sich zu Arian und Mira um. Mit dem Zeigefinger auf den Lippen signalisierte er ihnen, dass sie fast am Ziel waren. Nur ein rubinroter Samtvorhang trennte sie noch vom Schlafgemach seiner Mutter. Mit dem Degen schob er ihn vorsichtig auseinander und lugte durch die Öffnung. Er lächelte diebisch und schlüpfte in den Raum.
    Arian rang nach Atem. Sein Herz schlug vor Aufregung so heftig wie nach einem Hindernislauf. War dies das erhoffte Ende seiner abenteuerlichen Suche? Würde er gleich seinen Körper zurückbekommen und das Rätsel um den Mord an seiner Mutter lüften? Seine Hand spannte sich um den Stockdegen. Notfalls würde er die verborgene Klinge benutzen, um die Wahrheit herauszubekommen. Er trat durch den Vorhang, Mira blieb dicht hinter ihm.
    Seine Mutter verabscheue Türen und liebe das Licht, hatte Tarin während der Reise erzählt. Das merkte man selbst in ihrem Schlafgemach. Eine kleine Flamme unter einem bernsteinfarbenen Glasschirm und ein glosender Kamin hielten die Dunkelheit von der Schlafenden fern. Zudem spendete die Glut in der Feuerstelle Wärme.
    Arians Augen brauchten dennoch eine Weile, um sich an die Halbschatten zu gewöhnen. Wie Ikela aussah, konnte er noch nicht erkennen; sie lag ohnehin auf der Seite mit dem Rücken zum Durchgang. Der Feuerkristall war ihm auch keine Hilfe, er zeigte nur eine wabernde rote Wolke, die sich ständig veränderte. Auf Zehenspitzen schloss Arian zu Tarin auf. Der hatte das große, mitten im Raum stehende Himmelbett schon fast erreicht. Seine Degenspitze zielte abwehrbereit auf die Herrin von Phobetor.
    Allmählich schälten sich mehr Details aus den Halbschatten. Stöhnend drehte sich die Gestalt im Bett auf den Rücken. Eine weibliche Brust erschien, umhüllt von zartem Chiffon. Arian war entsetzt. Nicht der unzüchtige Anblick schockierte ihn, sondern dass da kein Jüngling lag.
    Die Schlafende hatte langes schwarzes Haar und ein ebenmäßiges Gesicht. Es war betörend schön und überraschend jung. Zugleich wirkte es mit dem großen Mund und der geraden Nase auf eine geheimnisvolle Weise zeitlos, wie eine antike Totenmaske. Im roten Licht des Feuerkristalls meinte Arian den Grund dafür zu erkennen.
    Ikela änderte ständig ihr Aussehen.
    Vermutlich sah er den Widerschein der mit ihr Verschmolzenen oder das Echo der Menschen, deren Körper sie im Laufe der Jahrhunderte gestohlen hatte – ein Antlitz war makelloser als das andere. Diese Frau musste besessen sein vom Streben nach Vollkommenheit. Trotzdem wirkten ihre wechselnden Gestalten stets durchsichtig, filigran und zerbrechlich wie Glas. Zeigte der rote Stein so ihr verletzliches Wesen? Waren Arglist und unbarmherzige Härte nur Masken, hinter denen sich ein uraltes, schwaches Geschöpf verbarg?
    Arian hatte so sehr gehofft, in dieser Nacht seinen Körper wiederzufinden, dass er vor Enttäuschung keuchte.
    Ikela fuhr jäh aus den Kissen hoch, die schwarzen Augen weit aufgerissen. »Der Feind naht!«, rief sie mit dunkler Stimme.
    »Er ist längst hier«, knurrte Tarin und setzte ihr den Degen auf die Brust, die Spitze zielte genau auf ihr Herz. »Keine Bewegung, und hör auf zu schreien, sonst stoße ich zu. Wenn du irgendwelche deiner Tricks versuchst, bist du tot.« Beide sprachen Deutsch.
    Die Burgherrin blinzelte benommen. Drei Eindringlinge an ihrem Bett, das hätte sie vermutlich in ihren finstersten Träumen nicht erwartet. Sie schüttelte den Kopf. »Ihr verwechselt mich, Herr. Bestimmt denkt ihr, ich sei Ikela, aber das bin ich nicht.«
    Tarin verstärkte den Druck seiner Klinge. »Schluss jetzt, Mutter! Ich erkenne dich in jedem Körper, selbst als Floh kämst du nicht unbemerkt an mir vorbei. Wenn es nur so wäre, dann könnte ich dich zertreten. Stattdessen blickt mich aus den Augen meiner geliebten Schwester ihre Mörderin an.«
    Ikela stutzte. »Zigor?«
    »Den gibt es nicht mehr. Ich habe mich aus deinem Bann befreit und heiße jetzt Tarin. Die anderen beiden sind Mira du Lys, die Tochter von Baladur, und Arian Pratt, zu dem ich dir wohl nichts

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