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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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verhehlen, die der Vorwurf seiner Mutter bei ihm hervorgerufen hatte.
    »Wenn du mir nicht glaubst, so lies Rinellas Abschiedsbrief.« Ikela deutete neben ihr Bett, wo auf einem Tischchen ein zusammengefalteter Bogen Papier lag.
    »Du willst ja nur, dass ich mein Schwert wegnehme.«
    »Gib ihr wenigstens eine Chance«, sagte Arian. Er holte sich das Blatt und hielt es ins Licht der bernsteinfarbenen Lampe. Es war fleckig, abgegriffen und teilweise an den Falzen eingerissen. Nur wenige, fahrig hingeworfene Zeilen standen darauf. »Ein unzählige Male gelesener Brief, unterschrieben mit dem Namen deiner Schwester«, stellte er fest und reichte ihn an Tarin weiter.
    Widerstrebend nahm der ihn entgegen. »Es ist Rinellas Handschrift«, flüsterte er überrascht. Sichtlich ergriffen las er ihre Abschiedsworte.
    Ikela seufzte. »Ich habe sie geliebt, Zigor. So wie ich dich liebe.«
    Seine Schultern begannen zu zucken, so als tobe in ihm ein waidwundes Tier. Schließlich brach er in haltloses Schluchzen aus.
    Seine Mutter schob die Degenklinge zur Seite, schwang die Beine aus dem Bett und breitete die Arme aus, wohl um ihn zu trösten. Sie trug ein knöchellanges Hemdkleid aus weißer Seide, das ihren schlanken Leib wie ein Hauch Nichts umschmeichelte.
    Arian räusperte sich verlegen und senkte verstohlen den Blick.
    Plötzlich ging ein Ruck durch seine Rechte, die den Spazierstock hielt. Die verborgene Klinge glitt aus ihrer Umhüllung. Mira hatte seine Unachtsamkeit ausgenutzt, um sich der Waffe zu bemächtigen. Mit stoßbereitem Degen stürzte sie auf die Herrin von Phobetor zu und setzte ihr die Spitze an die Kehle.
    »Halt!«, zischte das Mädchen in seiner Muttersprache. »Mag ja sein, dass Ihr die Wahrheit sagt, was Eure Tochter betrifft. Doch könnt Ihr uns für die Verschwörung gegen meine Eltern eine ebenso rührselige Geschichte auftischen?«
    Ikela versteifte sich. Es schien ihr schwerzufallen, den Blick von ihrem weinenden Sohn zu nehmen und die feuerhaarige Furie anzusehen. In merklich kühlerem Ton antwortete sie auf Französisch: »Nein.«
    Mira blinzelte irritiert. »Was? Heißt das …?«
    »Es bedeutet, dass ich nichts mit ihrem Tod zu tun habe. Morpheus hat das Komplott geschmiedet. Er sandte Xix – seine rechte Hand – mit einem Brief zu Jean Paul Marat und befahl ihm, alle Leute beim Justizminister anzuschwärzen, deren Namen er in dem Papier aufgelistet hatte. Die von Baladur und Marie du Lys standen ganz oben auf der Liste. Bevor Georges Danton sein Amt niederlegte, sorgte er noch dafür, dass deine Eltern unters Fallbeil kamen.«
    »Und das soll ich Euch glauben? Woher wisst Ihr so viel darüber, wenn Ihr nicht in die Verschwörung verstrickt gewesen seid?«
    »Von dem Boten. Ihm ist der Inhalt des Briefes erst bekannt geworden, als es schon zu spät war. Er heißt Michel de Nostredame.«
    Arian ließ zischend den Atem entweichen. »Jetzt wird mir einiges klar.«
    Mira sah ihn verständnislos an. »Wovon redest du?«
    »Du hattest von Nostradamus wissen wollen, ob er den Anstifter des Komplotts kenne, das deine Eltern auf die Guillotine brachte. Da hat er so herumgedruckst und gesagt, du sollst Marat selbst fragen. Wenn Nostradamus unfreiwillig in die Sache verstrickt war, erklärt das, warum er nach ihrem Tod drei Tage Trauerfasten eingelegt hatte.«
    Tarin wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. »Da ist was dran.«
    Sie ließ kraftlos den Degen sinken.
    Arian nahm ihr die Waffe ab, um sich damit nötigenfalls selbst Respekt zu verschaffen. »Aber was ist mit dem Mordanschlag auf meine Eltern?«
    Ikela seufzte. »Du willst wissen, ob ich Tobes und Salome töten wollte?«
    »Ja.« Er fixierte sie durch den Feuerkristall, der sie ihm nach wie vor zerbrechlich wie eine Glasfigur und mit stetig wechselnden Gesichtern zeigte. Vielleicht half er ja auch dabei, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.
    Sie schüttelte den Kopf. »Glaubt doch nicht jeden Schwindel, den Morpheus über mich verbreitet. Wer so lange lebt wie ich, dem mangelt es nicht an Gelegenheiten, Fehler zu machen. Man hat aber ebenso viele Möglichkeiten, daraus zu lernen.«
    Mira schnaubte. »Ich fange gleich an zu heulen.«
    »Seid Ihr an dem Anschlag beteiligt gewesen oder nicht?«, hakte Arian nach.
    Ein wehmütiger Zug umspielte Ikelas Mund. »Dein Vater war ein Idealist. Er wollte die Tauscher befreien. ›Ewiges Leben, das mit dem Tod Unschuldiger erkauft wird, ist Tyrannei‹, predigte er. Damit hatte er sich

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