Die Masken des Morpheus
Hals geschafft. Hooter war dagegen nur mäßig beeindruckt. Mit kreisendem Messer rückte er ihm auf den Pelz.
»Was für Tricks hast du noch auf Lager, Franzmann?«
Arian ließ die falschen Flammen erlöschen und wich vor dem Riesen zurück. Warum hielten ihn die Kerle eigentlich für einen Franzosen? Mister M. hatte fließend Englisch gesprochen, in dem Cockney-Dialekt der Leute, die in Hörweite der Glocken von St Mary-le-Bow in der City of London aufgewachsen sind. »Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass Sie mich verwechseln!«
Der Waliser lachte. »Man hat uns zu Recht vor deinen Zauberkünsten und deiner Glattzüngigkeit gewarnt.«
»Ich bin kein Zauberer«, schrie Arian wütend. Er warf einen Blick über die Schulter. Noch drei oder vier Schritte bis zur Brüstung. Dahinter ging es mehr als zweihundert Fuß in die Tiefe.
»Da habe ich aber gerade was anderes gesehen.« Der Hüne dachte gar nicht daran, stehen zu bleiben.
»Lassen Sie mich gehen. Ich will Ihnen nichts tun.«
Hooter zuckte die Achseln. »Du verblutest sowieso. Dafür hat Slit schon gesorgt. Er ist ein Meister seines Fachs. Komm, ich helfe dir, die Sache kurz und schmerzlos zu beenden.« Er machte einen weiteren Schritt.
Arian wich erschrocken zurück und stieß mit den Hacken gegen die Mauer, genau zwischen zwei Zinnen, wo die Brüstung am niedrigsten war. Sein Gleichgewichtssinn schlug Alarm. Was ihn als junger Seiltänzer nur ein müdes Lächeln und ein rasches Muskelspiel gekostet hätte, überforderte seinen alten, vom Blutverlust geschwächten Körper. Er ruderte verzweifelt mit den Armen in der Luft. In seiner Seite explodierte der Schmerz.
Auf diese Gelegenheit hatte Hooter nur gewartet. Mit zwei schnellen Schritten trat er vor, um den vermeintlichen Mister M. über die Mauer zu stoßen.
Arian griff nach der Hand, die ihn an der Brust traf, bekam sie aber nicht zu fassen. Er kämpfte um die Balance und schrie, als er langsam rückwärts kippte.
»Jetzt zier dich nicht so«, sagte Hooter und stupste ihn erneut an. Nur mit zwei Fingern.
Das reichte, um Arian vollends aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er warf die Arme hoch und streifte mit den Fingerspitzen den Daumen des Walisers. Während Arian den Boden unter den Füßen verlor, spürte er ein heftiges Ziehen, ähnlich dem schmerzhaften Reißen, das ihm zuvor der Seelendieb zugefügt hatte. Für die Dauer eines Wimpernschlags verschwamm der Mörder vor seinen Augen …
… und dann hatten sie die Körper getauscht.
Entsetzt starrte Arian in das überraschte Gesicht von Mister M. Es entfernte sich rasch von ihm. Weder schrie Hooter noch zappelte er. Entweder hatte er die Besinnung verloren oder er war vor Schreck gelähmt. Kurz bevor der Boden seinen Sturz beendete, kniff Arian die Augen zu.
Als er sie wieder öffnete, sah er nur mehr einen zerschmetterten Leib, den es fast in zwei Hälften zerrissen hatte. Slit hätte seine wahre Freude gehabt.
Unter den Passanten vor dem Portal hingegen breitete sich Entsetzen aus. Die meisten schrien, Frauen fielen reihenweise in Ohnmacht, und einige Kinder deuteten aufgeregt zum schwarzen Mann auf dem Turmdach hinauf.
Arian zog sich rasch von der Brüstung zurück und starrte benommen auf seine riesigen Hände. Nein, es waren Hooters behaarte Pranken. Immerhin fühlte sich dessen fleischliche Hülle besser an als das wacklige Gestell, das Mister M. ihm untergejubelt hatte. Unangenehm war lediglich das Jucken auf dem Kopf und unter den Armen sowie ein hässliches Kneifen im Schritt. Hatte der Kerl Läuse?
Bin ich jetzt ein Seelendieb geworden?, schoss es Arian durch den Sinn. Der Gedanke war ungeheuerlich. Würde er jedem, den er mit bloßer Haut berührte, den Leib rauben?
Unbehaglich tastete er nach seiner Nase, diesem enormen Zinken, der seinen Besitzer selbst auf hundert Yards unverwechselbar machte. Das ist gar nicht gut, dachte er. Alle würden ihn für den Mörder von Mister M. halten. Er wollte seinen eigenen Körper zurückhaben, ehe sich der Henker den des Walisers holte.
Ob der Seelendieb noch auf Dean’s Court war? Ein Seitenblick auf den Schlitzer verhieß neue Schwierigkeiten. Slit lag zwar nach wie vor in der Blutlache, doch seine Finger zuckten bereits. Der brutale Kerl war Arian zuwider. Anstatt auf sein Gefühl zu hören und das Weite zu suchen, setzte er sich mit einem wütenden Schnauben in Bewegung. Vielleicht sah er von der Südseite des Turmes den Unhold, der nun in seiner Haut steckte.
Während er über
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