Die Masken des Morpheus
der Verbrecherkönig von London hinter dem Mord? Arian verwarf sein ursprüngliches Vorhaben, Slit loszuwerden. Sollte der Seelendieb ihm entkommen, wäre dessen Boss womöglich die einzige Rettung für ihn.
Der Dicke nickte gewichtig und fuchtelte erneut mit dem Messer vor Arians Nase herum. »Hast also endlich kapiert, in was für einen Schlamassel du mich da bringst. Wie steh’ ich jetzt da, wo du den Froschfresser ganz allein abserviert hast? Aber mich legst du nicht aufs Kreuz, Freundchen. Ehe ich meinen Posten an dich abtrete, schneide ich dir deinen verdammten Riechkolben ab.«
Arian gab sich gelassen. Mit ausdrucksloser Miene griff er sich zwischen die Beine, wie er es zuvor bei Hooter gesehen hatte. So ein Gehabe sah nicht nur lässig aus, es linderte auch das Kneifen.
Und es lenkte ab.
Blitzschnell packte er Slits Hand und drehte ihm den Arm um, bis die Klinge gegen dessen Wanst stieß. Er war selbst überrascht von der Kraft seiner neuen Arme. »Wenn ich dich loswerden wollte, hätte ich dich schon längst abgemurkst. Scheinbar ist dir entgangen, dass der Franzmann dem Seiltänzer was zugeflüstert hat.«
»Zugeflüstert?« echote Slit gepresst. Sein besorgter Blick pendelte zwischen dem Messer und Arians Gesicht hin und her. »Wird wohl um Hilfe gebettelt haben, der verdammte Frosch.«
»Oder er hat uns verraten. Vielleicht steckt er mit dem Jungen unter einer Decke. Ich dachte mir, der Boss sollte darüber Bescheid wissen. Geh und erstatte ihm Bericht. Ich fühle derweil dem Gaukler auf den Zahn. Falls ich den geringsten Verdacht habe, dass er etwas weiß, bringe ich ihn zum Schweigen. Heute Abend erzähle ich dir, was ich rausbekommen habe. Wo wollen wir uns treffen?«
»Wie wär’s mit The Gun in den Docks? Die haben das beste Bier.«
»Einverstanden. Kann ich dich jetzt loslassen, ohne dass du mich aufschlitzt?«
»Klar doch. Wieso denn nicht?«
Arian traute dem leutseligen Ton des Dicken keineswegs. Als er ihn freigab, ging er vorsichtshalber gleich auf Abstand.
Slit grinste über beide Ohren. »Glaubst du ernsthaft, ich hätte es dir vorher gesagt, wenn ich dich abstechen wollte?«
»Dann bis heute Abend.« Arian ließ den Schlitzer kurzerhand stehen. Hoffentlich war es nicht schon zu spät, den Seelendieb einzuholen.
Wie Mister M. mit Arians Körper Schindluder treibt.
London, 7. Juni 1793
Mister M. drehte sich nicht um, während er auf der Westminster Bridge zum Ostufer der Themse wechselte. Er hätte es gespürt, wenn der Junge noch lebte. Jedenfalls hoffte er das. Mit Wut im Bauch nimmt man manches verzerrt wahr. Oder gar nicht. Das Zusammentreffen mit Tobes’ Sohn war so ganz anders verlaufen als erwartet. Mister M. hasste Überraschungen dieser Art. Normalerweise wäre er mit dem Bastard in dessen Körper verschmolzen und dann hätte er ihn für immer ausgelöscht. Stattdessen hatten sie einfach die Plätze getauscht.
Wahrscheinlich ist das Blut seiner Mutter dran schuld , sagte sich M. und schob das schwere Seil auf seiner Schulter zurecht. Er hatte keine bessere Erklärung für den beunruhigenden Fehlschlag. Salome war eine Morphostase gewesen, jemand, der die Kräfte von Menschen wie seinesgleichen hemmte. Es gab sie überall auf der Welt, wenn auch äußerst selten. Und so vielfältig wie die Völker der Erde waren die Namen der Körpertauscher in den jeweiligen Sprachen. Aus den Sagen des Altertums kannte man sie als Metasomen . Hier, auf den Britischen Inseln, nannten sie sich Swapper .
Um einander nicht ins Gehege zu kommen, besaßen diese Auserwählten von Natur aus einen sechsten Sinn, mit dem sie sich gegenseitig wahrnahmen. Arians Mutter hatte dieses Gespür allein durch ihre Gegenwart betäubt und kein Tauscher hätte sie ihrem Körper entreißen können. Daher bezeichnete man Menschen wie sie auch als Blocker oder Ruhende – sie ruhten in sich selbst.
Auf Tobes’ Sohn traf das offenbar nur bedingt zu. Er war eine gefährliche Mischung aus Tauscher und Blocker. Deshalb hatte er wohl auch die Verschmelzung, nicht aber den Körpertausch verhindern können. Der Bastard bedrohte das Gefüge einer jahrtausendealten Ordnung.
M. lächelte diabolisch. Eine ganz außergewöhnliche Hülle hatte er da gekapert, die ihm wie angegossen passte: jung, kräftig, groß und gut aussehend. Daran konnte man sich gewöhnen. So schnell würde er dieses neue Gewand nicht mehr hergeben.
Das diebische Grinsen auf dem Gesicht von Mister M.
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