Die Masken des Morpheus
zu Verhandlungen in den Tempel ein …«
»Meint Ihr den Palais du Temple im alten Ordensgebiet der Tempelritter? Mein Ziehvater hatte gleich in der Nachbarschaft sein Amphitheater.«
»Nein. Der Tempel ist ein unterirdischer Versammlungsraum, den die führenden Körpertauscher alle Jubeljahre einmal benutzen, um wichtige Fragen zu klären. Er befindet sich unter der Salle de la Porte Saint-Martin, wo die Opéra ihre Vorstellungen gibt.«
»Der Elfenbeinpalast ist etwa zwei Tagesreisen von Paris entfernt. Wie sollen Eure Söldner so schnell erfahren, ob Morpheus auf unsere Finte hereingefallen ist? Mit Botenvögeln?«
Sie lächelte geheimnisvoll. »Es geht sogar noch flinker. Liegt Ivoria vielleicht auf der Route von Paris nach Lille?«
Arian und Mira sahen sich an. Sie nickte. »Ja«, antwortete er.
»Das dachte ich mir. Dann können wir fast gleichzeitig zuschlagen.«
»Was ist, wenn Morpheus den Köder verschmäht?«
»Wir müssen ihn eben unwiderstehlich für ihn machen. Casanova könnte ihm ein Versöhnungsgeschenk anbieten.« Ikelas Blick wechselte zu dem Mädchen an Arians Seite.
Mira wurde noch blasser, als sie ohnehin war. »Ihr wollt mich … ?«
»Nein!«, schnitt ihr Arian das Wort ab. »Morpheus hat sie einmal gehen lassen, beim nächsten Mal wird er es bestimmt nicht wieder tun.«
Sie schnappte nach Luft. »Dürfte ich dazu vielleicht auch etwas …«
»Ich werde mich ihm ausliefern«, unterbrach er sie erneut.
»Das wirst du nicht. Dich will er erst recht umbringen.«
»Doch werde ich. Gerade deshalb bin ich der verlockendere Köder.«
»Nein!«
»Und ob!«
»Ich bin nicht dein Eigentum, egal was du Gila gesagt hast«, zischte sie wütend.
Arian hob zu einer Antwort an, schnaufte dann aber nur unwirsch. Er fürchtete, eben könnte etwas zwischen ihm und Mira zerrissen sein. So würde er nie ihre Gunst gewinnen, sondern sie allenfalls Tarin in die Arme treiben.
Dessen Mundwinkel zuckten belustigt, während er sich Ikela zuwandte. »Dein Plan hat eine Schwachstelle, Mutter.«
Ihre Stirn legte sich in Falten. »So? Welche denn?«
»Ich glaube nicht, dass Casanova dir vertrauen und bei deiner Kabale mitspielen wird.«
»Das ist auch nicht nötig. Jemand anderer wird Morpheus das Versöhnungsgeschenk überbringen.
»Du meinst, ich …?«
»Nein!« Sie schüttelte den Kopf und lächelte. »Noch einmal will ich dich nicht verlieren. Ich selbst werde nach Paris reisen und meinem alten Feind gegenübertreten.«
Morpheus empfängt Ikelas Boten
und unterbreitet ihm ein unwiderstehliches Angebot.
Südwestlich von Compiègne, 2. Juli 1793
Morpheus blickte verdrossen in das Tal der Oise hinab. Die Luft flirrte über dem Fluss. Es war ein trockener Sommer. Der Metasomenfürst stand auf einem runden Turm aus Feldsteinen mit einer merkwürdigen Vorrichtung darauf, die einige Leute aus der Gegend als Galgen bezeichneten. Unter ihm erstreckten sich Fischteiche und dahinter der Forêt de Compiègne. Er hatte immer noch keine Nachricht von Boss. Nur diese seltsame Brieftaubenbotschaft von Nostradamus, die den Anlass für das geheime Treffen gab.
Missmutig sah Morpheus zu dem »Galgen« hinauf. Eigentlich handelte es sich um eine neuartige Apparatur zur schnellen Nachrichtenübermittlung. Der sémaphore oder Flügeltelegraf bestand aus einem Mast mit einem schwenkbaren Querarm, an dessen Enden drehbare Balken hingen. Die Konstruktion ließ sich über Rollen und Seilzüge so verstellen, dass man fast zweihundert verschiedene Zeichen darstellen konnte. Manche Figuren standen für Wörter oder sogar ganze Sätze. Genial!
Das Geräusch flatternder Flügel lenkte seine Aufmerksamkeit auf einen Vogel. Es war eine Kornweihe. Sie landete neben dem Mast des optischen Telegrafen. Kaum hatten ihre Füße das Turmdach berührt, schienen ihre Federn wie ein platzendes Daunenkissen auseinanderzustieben. Im nächsten Moment verbeugte sich ein vollbärtiger, hagerer Mann in schwarzem Talar vor dem Fürsten: Nostradamus.
»Danke, dass Ihr gekommen seid, Herr.« Er reichte Morpheus einen Brief. »Ich hielt es für angebracht, Euch diese Nachricht persönlich zu überbringen. Sie ist von großer Wichtigkeit und mag weitere Botenflüge meinerseits erfordern.«
»Ihr kennt ihren Inhalt?«
»Ich wurde ausdrücklich um Vermittlung gebeten. Ihr habt Euch einen neuen Körper zugelegt, wie ich sehe. Sehr ansprechend. Und sehr jung. Wem hat er vorher gehört?«
»Das braucht Euch
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