Die Masken des Morpheus
Puppenspieler muss man jede Figur mit Leben erfüllen können – sowohl Narren als auch Bösewichte.«
Ihre Miene erstarrte. Wahrscheinlich gefiel ihr weder die eine noch die andere Rolle. »Hast du in meiner stofflichen Hülle irgendetwas gefunden, das deinen Argwohn rechtfertigt?«
Er räusperte sich verlegen. Warum nur konnte er seinen Mund nicht halten? »Nein. Mir blieb allerdings wenig Zeit, danach zu forschen.« Um wieder in ruhigeres Fahrwasser zu gelangen, deutete er auf die Lakaien, die um den Tisch herumwuselten. »Weshalb sind Eure Diener alle so winzig? Sie reichen ja kaum über die Tischkante.«
»Es sind Zwerge«, antwortete sie kühl.
»Im Amphitheater meines Ziehvaters beschäftigen wir auch kleine Menschen. Eure Dienstboten sehen irgendwie anders aus. Gehören sie einem bestimmten Volk an?«
»Ja.«
»Und welchem?«
»Dem Volk der Zwerge.«
Tarin stöhnte. »Meine Mutter hat die Diener aus Riesen erschaffen.«
Arian blinzelte irritiert. »Wie bitte?«
»Sie hat Kinder von großwüchsigen Eltern genommen und ihre Veranlagung ins Gegenteil verkehrt. Mutter fühlt sich nicht wohl, wenn ihre Lakaien größer sind als sie selbst.«
»Es waren arme Kinder«, sagte Ikela pikiert. »Kinder, die nach Menschenermessen vor dem Erwachsenwerden ins Grab gegangen wären. Weil Hunger und Krankheiten sie dahingerafft hätten. Bei mir geht es ihnen gut.«
»Ein Kind sollte ein Zuhause haben, in dem es sich geborgen fühlen kann. Warum hast du den Familien nicht mit deinem Gold geholfen, Mutter? Du besitzt genug davon.«
Sie blitzte ihn zornig an. »Almosen ändern gar nichts, Zigor. Sie machen aus armen Bauern und Tagelöhnern nur arme Schmarotzer.«
Er schnaubte.
»Ich glaube, wir lassen Euch lieber allein«, warf Arian ein.
Ikela schüttelte den Kopf. »Nein. Ihr seid nach Phobetor gekommen, um Antworten zu finden und … Vergeltung zu üben?« Ihr forschender Blick wandte sich Mira zu.
Das Mädchen schlug die Augen nieder.
»Meinen Körper zurückzufordern hat nichts mit Rache zu tun«, sprang Arian für sie in die Bresche. »Außerdem wollen wir endlich die ganze Wahrheit über unsere Eltern erfahren und dem unseligen Treiben, das schon so viele Menschenleben gekostet hat, ein Ende machen.«
Ein wissendes Lächeln umspielte Ikelas Mund. »Ich habe so manche Kabale gegen den Metasomenfürsten gesponnen und bin bislang immer gescheitert. Er ist sehr mächtig. Um ihn zu besiegen, muss euer Pfeil auf seine Achillesferse treffen: Seine größte Schwäche ist der Stolz, die Hybris der Unbesiegbarkeit. Wenn er sich auf sicherem Terrain wähnt, könntet ihr ihn überlisten.«
»Ihr meint Ivoria?«, fragte Arian.
»Würdest du denn den Elfenbeinpalast finden?«
»Mit Sicherheit. Er steht im …«
»Ja«, fiel Mira ihm ins Wort. »Der Feuerkristall macht den Palast sichtbar.«
Arian atmete hörbar aus, dankbar für ihre Besonnenheit. Er musste unbedingt lernen, seine Zunge zu hüten. Im Gegensatz zu ihnen kannte die Herrin von Phobetor das Versteck des Metasomenfürsten nicht und das sollte wohl auch besser so bleiben. So hatten sie ein Faustpfand, das sie zu gegebener Zeit einlösen konnten.
Ikela lächelte. »Falls ich dir hülfe, Morpheus in die Enge zu treiben, würdest du mir als Lohn den Stein der Wahrheit überlassen?«
»Mutter!«, stieß Tarin empört hervor. »Du besitzt tatsächlich die Unverfrorenheit, Forderungen zu stellen, damit wir dir deinen ärgsten Feind vom Hals schaffen dürfen? So etwas kannst auch nur du verlangen.«
Arian seufzte. »Sie soll ihn bekommen. Mir hat der Kristall bisher kein Glück gebracht. Aber ich gebe ihn erst her, wenn ich das Rätsel um meinen Vater gelöst habe.« Die ungeklärten Fragen brannten ihm zu sehr auf den Nägeln, um mit den Zankereien der beiden kostbare Zeit zu verschwenden.
»Ist das ein Handel?«, fragte die Burgherrin. Ihr Blick lag begehrlich auf der Augenklappe, die den Stein verhüllte.
»Ja.«
Tarin warf seine Gabel auf den Teller, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich gegen die Stuhllehne fallen.
Ikela ignorierte ihn. »Abgemacht. Wie sah Morpheus eigentlich durch den Kristall aus?«
»Er war ein zerbrechlicher Mensch mit tausend Gesichtern.«
Sie nickte. »Wie treffend! Wir zwei hatten einmal vor langer Zeit die Körper getauscht. So entdeckte ich seine verborgene Verletzlichkeit. Der Stein hat dir sein innerstes Wesen offenbart.«
»Ich frage mich nur, warum ich nach dem Swap nichts von seiner Falschheit
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