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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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kräftig gebauten Sekundanten, der ihr als Beistand und Berater dienen sollte, lief sie unmittelbar hinter dem Führer der Gruppe: Nostradamus. Der hagere Mittelsmann hatte sich bei der Begrüßung an der Geheimtür noch distanzierter verhalten als sonst. Vielleicht erforderte das seine Rolle in diesem Schmierentheater, das Arian irgendwie an den venezianischen Karneval erinnerte.
    Er versuchte sich jedes Detail der Umgebung einzuprägen und darin das wiederzuerkennen, was Ikela ihnen beschrieben hatte. Notfalls würde er sich blind an die Oberfläche zurückkämpfen müssen. Wie gut, dass Mira oben geblieben war! Verkleidet als Blumenmädchen lungerte sie bei der Porte Saint-Martin herum, einem zu Ehren von Ludwig XIV. errichteten Triumphbogen. So konnte sie unauffällig die Gegend rund um das Theater im Auge behalten.
    Tarin war ebenfalls bei ihr. Im Gegensatz zu dem Mädchen durfte er sich nicht von der Stelle rühren. Sobald feststand, dass ihnen der Metasomenfürst in die Falle gegangen war, würde er zur Station des Chappe’schen Flügeltelegrafen eilen, um dem Kommandanten des Söldnerheers den Angriffsbefehl zu schicken. Fast zweihundert Krieger warteten im Wald von Compiègne darauf, Ivoria zu stürmen. Die Befreiung seines Vaters war Arian sogar wichtiger, als dieses unterirdische Reich der Metasomen im eigenen Körper zu verlassen. Vielleicht gelang ihnen ja beides. Alles hing davon ab, ob sie Morpheus überrumpeln konnten.
    Unvermittelt sträubten sich Arians Nackenhaare, weil am Rande seines Bewusstseins wieder das Ich-fühle-mich-von-jemandembeobachtet-Gefühl aufflackerte. Der Seelendieb von Dean’s Yard war hier. Er musste ganz in der Nähe sein. Am liebsten hätte Arian gleich den Befehl zum Angriff auf Ivoria gegeben, doch der Metasomenfürst steckte voller Tücken. Besser vorsehen als nachsehen , dachte Arian und konzentrierte sich noch stärker auf seine Umgebung.
    Die geheime Versammlungsstätte war viel älter als das darüberliegende Gebäude am Boulevard Saint-Martin. Wenn Arian nicht gerade der Fackelrauch in die Nase zog, dann roch es so modrig wie in einer Gruft. An den verputzten Wänden blätterte die schleimgelbe Farbe ab. Er war froh, als der schmale unterirdische Gang endlich in einen quadratischen Vorraum mündete, der Platz für etwa fünfzig Personen bot.
    Auf der anderen Seite war ein Portal zu sehen, das auch gut zum Orakel von Delphi gepasst hätte; die Säulen an den Türpfosten und der Spitzgiebel auf dem Sturz kamen Arian jedenfalls griechisch vor. Die schweren Türflügel standen offen. Dahinter lag ein Saal, den Ikela ihm als Halle von genau neunundachtzig mal einhundertvierundvierzig Fuß beschrieben hatte – ein Maß, in dem sich der sectio aurea , der Goldene Schnitt, widerspiegelte, das Symbol göttlicher Harmonie. Die ockerfarbenen Wände seien bewusst schlicht gehalten, um nicht vom Wesentlichen abzulenken: den Worten. Als einziges Zugeständnis an die jahrtausendealte Tradition der Körpertauscher gebe es einen himmelblauen Mäanderfries unter der Decke. Das Ornament sei eine Erfindung von Morpheus. Nicht nur den alten Hellenen galt es als Sinnbild für die Ewigkeit durch fortdauernde Erneuerung.
    »Bitte wartet einen Moment«, sagte der Hagere zu Ikela und betrat den Saal. In der weiten Öffnung war zu sehen, wie er sich nach rechts wandte und die Besucher ankündigte. »Die Partei der Freien ist eingetroffen, Hoheit.«
    »Lasst sie hereinkommen, Monsieur.«
    Nostradamus bedeutete den Wartenden, einzutreten.
    Die Hälfte der Eskorte ging voraus, dann kamen die Herrin von Phobetor, ihr Sekundant und der Gefangene, hiernach die übrigen Leibwächter. Hinter ihnen wurden die Türen geschlossen.
    Die Versammlungshalle entsprach aufs i-Tüpfelchen genau Ikelas Schilderungen. Sogar die drachenfüßigen Feuerschalen und die roten Samtbezüge auf den Lehnstühlen, die sich längs des Saales gegenüberstanden, stimmten. Stufenförmige Podeste dahinter boten Raum für eine weitere Reihe von einfacheren Stühlen sowie ganz oben Stehplätze für die Beschützer der Metasomen. Arian verkniff sich ein Schmunzeln, weil auch diesmal keiner der Rivalen im Vorteil war. Jeder hatte exakt genauso viele Männer mitgebracht wie der andere.
    In der Mitte der untersten Stuhlreihe saßen nur zwei vermummte Gestalten. Ihre schwarzen Umhänge vermochten nicht zu verhehlen, dass der linke klein und dick und der rechte ziemlich stattlich war. Beim Eintreten der Abordnung erhoben sie

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