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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Sohn, deinen Urenkel zu bekommen, meinst du? Du bist an Niedertracht kaum zu überbieten, Marádh.«
    Das Lächeln des Fürsten wurde verächtlich. »Das musst ausgerechnet du sagen, die ihre eigene Tochter in den Tod trieb. Und außerdem hat mein Plan doch geklappt, oder?«
    »Nicht ganz«, zischte Ikela wütend, zog eine Pistole unter ihrem Umhang hervor, richtete sie auf Morpheus und schoss.
    Die Kugel traf ihn mitten ins Herz und schleuderte ihn gegen einen Lehnstuhl. Mit einem überraschten Ausdruck auf dem Gesicht kippte er samt dem Möbel nach hinten um.
    »Wer ist hier das Ungeheuer?«, brüllte Ikela.
    Ein oder zwei Atemzüge lang herrschte völlige Stille. Ein Mord im Tempel – so etwas hatte es noch nie gegeben. Es war ein unverzeihliches Sakrileg, eine undenkbare Schändung dieser heiligen Stätte.
    Wie wohl die meisten der etwa vierzig Personen im Saal starrte auch Arian ungläubig auf die Füße des Toten, die grotesk in die Höhe ragten. So war das eigentlich nicht geplant gewesen. Ikela musste die Nerven verloren haben, weil Morpheus sie als Kindsmörderin hingestellt hatte.
    »Du bist es«, antwortete überraschend der Vermummte, der nur Xix sein konnte. Er hatte seinerseits eine Pistole zutage gefördert, und ehe irgendein Leibwächter zu reagieren vermochte, richtete er die Waffe auf die Herrin von Phobetor.
    »Nein!«, schrie Nostradamus und hechtete in die Schussbahn.
    Ein weiterer Knall hallte durch den Tempel. Die Kugel traf den Mittelsmann in die Brust, trat aus seinem Rücken wieder aus, schlug in Ikelas Schulter ein, wirbelte sie herum und warf sie zu Boden.
    Arian sank neben ihr auf die Knie, um ihr zu helfen. Plötzlich streiften ihre Finger seine Hand. Zu spät erkannte er seinen Fehler.
    Ikela riss ihn förmlich aus dem Körper des Sekundanten heraus und schleuderte ihn in den blutenden Leib ihrer Tochter. »Tut mir leid, Arian, aber du kommst schon zurecht«, sagte sie mit jäh vermännlichter Stimme.
    Der Körperwechsel und die Verletzung trübten seine Sicht. Nur ganz verschwommen sah er, wie Ikelas dunkle Gestalt aus seinem Blickfeld verschwand. Dann brach im Tempel die Hölle los.

Tarin soll in Windeseile den Befehl zum Angriff auf Ivoria
und zur Befreiung von Tobes nach Compiègne verschicken.
Die neue Technik dazu gibt es bereits,
nur der Techniker will nicht mitspielen.
      
      
      
    Paris, 13. Juli 1793
      
    »Morpheus ist tot! Rette meinen Vater!«
    Tarin entfuhr ein kleiner Schrei. Obwohl oder gerade weil er so gespannt auf eine Nachricht aus dem Tempel gewartet hatte, ließ ihn die Stimme aus dem Nichts heftig zusammenfahren. Er stieß sich von dem Torbogen ab, an dem er bis eben lässig gelehnt hatte, und sah zu Mira hinüber, die mit ihrem Blumenkorb vor dem Theater auf und ab ging. Ihre Blicke trafen sich.
    Sie musste ihm wohl ansehen, was passiert war, denn sie blieb sofort stehen.
    Tarin nickte ihr zu und lief los.
    Wenige Minuten später eilte er unweit des Triumphbogens in einen Stall, in dem er sein Pferd untergestellt hatte. Er schwang sich in den Sattel und galoppierte nach Norden davon.

    Der Feldweg bebte unter den Hufen des Rappen, während Tarin die butte, den Hügel von Montmartre, hinaufgaloppierte. Die Flanken seines Rosses glänzten vom Schweiß. Gemüsegärten und Windmühlen prägten das Bild des beschaulichen Vorortes im Norden von Paris. Tarin lenkte sein Tier zum höchsten Punkt in weitem Umkreis, der Kirche von Saint-Pierre de Montmartre. Auf dem Dach des Chores wurde gerade der Turm für den Chappe’schen Flügeltelegrafen fertiggestellt.
    Tarin brachte den schwarzen Hengst vor der Pfarrkirche zum Stehen. Er überlegte kurz, ob er seinen Degen mitnehmen sollte, der verborgen in einem Stoffbündel am Sattel hing. Abgesehen von zeremoniellen Anlässen war das öffentliche Tragen von Schwertern verboten. Um sich unnötige Schwierigkeiten zu ersparen, ließ er die Waffe, wo sie war. Unter dem Frack trug er einen Dolch. Das musste genügen.
    Mit wehenden Schößen lief er in das Gotteshaus. Es hatte bis zu Beginn der Revolution zu einem Benediktinerkloster gehört. Die offiziell noch nicht in Betrieb genommene Telegrafenstation werde besetzt sein, hatte Ikela ihm versprochen. Der Hauptmann ihrer Leibwache war unmittelbar nach der Ankunft in Paris nach Montmartre geritten, um alles vorzubereiten.
    Im Innern der Basilika herrschte Stille. Die Frühmesse war schon vorbei. Tarins Stiefelsohlen knallten wie Schüsse auf dem Steinfußboden, während er

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