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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Philips Mithilfe bei der Lösung seines siebzehn Jahre alten Problems.
    Er legte den Zeigefinger an die Lippen. »Psch! Du sollst doch eine Überraschung sein.«
    »Ich dachte schon, du wirfst mich den Kleppern zum Fraß vor«, murrte das Tier.
    »Halt gefälligst deinen Schnabel, sonst wirst du gerupft und am Spieß gebraten.«
    Der Vogel schüttelte angewidert sein Gefieder und gurrte etwas Unverständliches.
    »Mike?«, fragte unvermittelt eine andere Stimme. Hinter dem Verdeck der Kalesche erschien das Gesicht von Philip Astley.
    M. wandte sich dem Mann zu, der ihn für seinen Ziehsohn hielt. Jetzt würde sich zeigen, wie überzeugend er als Arian Pratt war. Zu Beginn sollte er vielleicht ein wenig Überraschung heucheln. »Du hast einen neuen Papagei?«
    Philip hievte seinen Körper aus dem Wagen. Der alte Haudegen war nicht nur ausgesprochen groß, sondern mittlerweile auch ziemlich beleibt. Das Herumturnen auf schaukelnden Pferderücken hatte er vor geraumer Zeit aufgegeben. Seitdem gefiel er sich in der Rolle eines »Direktors der Equestrik«, ein Titel, den er für sich selbst geschaffen hatte. Er trug den roten Rock der 15. Leichten Dragoner, vermutlich, weil er zurzeit wieder in seinem Regiment diente. »Eigentlich hatte ich jemand anderen erwartet. Woher wusstest du, dass du mich hier finden würdest?«, wunderte er sich, die ihm gestellte Frage geflissentlich übergehend.
    »Der Mann, den du zur Wabbey geschickt hast, sagte es mir. Er ist leider verhindert. Ich soll dich von ihm grüßen, Vater.«
    »Danke.« Ein argwöhnischer Zug erschien auf Philips Gesicht. Langsam kam er näher und musterte sein Gegenüber aus schmalen Augen. »Ist alles in Ordnung mit dir, Junge?«
    »Ja …« M. zögerte. Was hatte er falsch gemacht? »Wieso fragst du?«
    »Du kommst mir irgendwie … verändert vor. Gab es Probleme mit deiner Vorstellung auf Dean’s Yard?« Philip blieb vor seinem vermeintlichen Zögling stehen.
    »Nein. Die Leute waren begeistert.« Mister M. schlenderte zum nächsten Stützbalken und lehnte sich mit der Schulter lässig dagegen. Es war eine reine Schutzmaßnahme. Das Gefühl der Vertrautheit verleitete ahnungslose Menschen leicht dazu, einen anzufassen. Eine kurze Berührung mit der Hand aber genügte und Philip fände sich im Körper seines Adoptivsohnes wieder. M. wollte seine neue Errungenschaft an niemanden abtreten, schon gar nicht, wenn er sich stattdessen mit dreihundert Pfund Lebendgewicht herumschleppen musste.
    »Das Publikum liebt dich, wo immer du auftrittst. Du und Eibo, ihr zwei seid meine größte Attraktion. Komisch, dass du nicht ihn, sondern das Balancierseil mit dir herumschleppst. Wo hast du ihn gelassen?«
    Was meinte der Alte damit …? Plötzlich fiel es M. siedend heiß ein. Er hatte die verdammte Puppe auf dem Grün zurückgelassen. »Eibo ist an einem sicheren Ort«, antwortete er ungeduldig. »Ich kann jetzt nicht länger bleiben.«
    »Das will ich meinen! Du bist spät dran. Bald beginnt die Nachmittagsvorstellung und du solltest dich endlich umziehen.«
    »Ich trete heute nicht auf. Und morgen auch nicht.«
    »Was?«, brach es aus Philip hervor. »Aber wieso denn?«
    »Weil ich London verlassen muss. Der Mann, den du zu mir geschickt hast, sagte mir, dass ich in Gefahr bin.«
    »Davon hat er mir gegenüber gar nichts erwähnt. Geht es um deine … Vergangenheit? «
    »Ja. Wenn ich bleibe, könntest du sterben, so wie Kord.« M. wandte sich um.
    Philip setzte ihm nach und packte ihn am Arm. »Warte! Ich kann dir helfen, Junge. Ich weiß, du hast Kord sehr geliebt – mehr als mich. Er hat dir fast alles beigebracht und war wie ein Vater für dich. Trotzdem ist er nur ein alter Puppenspieler gewesen. Ich habe viele einflussreiche Freunde in der Stadt. Ein Wort ins Ohr von Constable …«
    »Nein, Vater!« Mister M. entzog sich trotzig dem eisenfesten Griff, ehe der sentimentale Kerl ihm noch die Wange tätschelte oder ihn an der Hand berührte.
    »Michael?«, fragte Philip. Mit neu erwachendem Argwohn musterte er sein Gegenüber. Dann schüttelte er den Kopf und sagte leise: »Du siehst aus wie Mike, klingst wie Mike und riechst wie Mike, aber du bist es nicht … Sind Sie das, Turtleneck? Oder …« Er riss die Augen auf. »Sie sind Mortimer!«
    M. streifte seine Rolle ab, wie er sich sonst unliebsamer Körper entledigte. Er lächelte spöttisch. »Woran haben Sie das erkannt? War es diese fadenlose Marionette?«
    »Natürlich war es die Puppe!«, polterte Philip.

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