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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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kommen wohl von auswärts. Wir zwei Glücklichen sind Gäste der Conciergerie, im uralten Zentrum von Paris, im Herzen von Frankreich. Es lebe die Nation!« Der Mann machte nicht den Eindruck, als habe er noch alle Tassen im Schrank.
    Arian kannte diesen Ort von Zeitungsberichten. Die Conciergerie auf der Île de la Cité war ein düsteres Gemäuer, dessen Geschichte bis ins 9. Jahrhundert zurückreichte. Ursprünglich als Festung und Königsresidenz errichtet, wurde es später dem Concierge überlassen, der im Namen des Königs Recht sprach. Inzwischen war der glänzende Lack des Titels abgeblättert und man verstand als concierge nur noch einen Kerkermeister. Mira hatte das Gefängnis als Wartesaal für die Guillotine bezeichnet. »Ich wüsste nicht, warum mich das glücklich machen sollte«, entgegnete er unwirsch.
    »Weil wir unter der Louisette einen schnellen, schmerzlosen Tod sterben werden.« Er meinte die Köpfmaschine, die ursprünglich nach dem königlichen Leibarzt Antoine Louis benannt worden war, der sie zusammen mit einem deutschen Klavierbauer ausgetüftelt hatte.
    Arian erschauerte. »Woher wissen Sie, dass es schmerzlos ist? Hat Ihnen das ein Enthaupteter verraten?«
    Der Alte lachte herzerfrischend. »Sie sind ein wahrer Schelm, Monsieur … ?«
    »Alexandre Michel, Kaufmann aus Straßburg. Und mit wem habe ich die Ehre?«
    »Mit Étienne Clavière, Bankier aus Genf.«
    »Sind Sie nicht Finanzminister?«
    Clavière kicherte. »Das war ich, mein Lieber. Leider nicht bei den Jakobinern. Seit dem 2. Juni sind Girondisten in diesem Land nicht mehr sehr beliebt. Ich schätze, es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich die revolutionäre Tugend der Gleichheit in letzter Konsequenz erfahre.«
    »Sie sprechen in Rätseln, Monsieur Clavière.«
    »Ich rede von der Louisette, von der freundlichen ›Kurzmacherin‹. Unter der Maschine niesen Könige und Hungerleider in denselben Sack, sie macht uns alle gleich. Früher durften sich nur die Adligen und Reichen den Kopf abnehmen lassen. Ketzer verbrannte man auf dem Scheiterhaufen, Königsmörder wurden gevierteilt, Diebe gehängt und Falschmünzer bei lebendigem Leib in einem Kessel gekocht. Ist das nicht ungerecht!«
    »Was ich heute auf der Place de la Révolution erlebt habe, kam mir weder menschlich noch gerecht vor. Ich kann dem Fallbeil auch nichts Freundliches abgewinnen.« Arians Stimmung wurde immer düsterer. Ganz im Gegensatz zu Clavières, dessen gute Laune schwer zu ertragen war.
    »Das sollten Sie aber, Monsieur Michel«, erklärte er leutselig. »Ihnen bleibt die entwürdigende und grausame Barbarei früherer Tage erspart. Nicht auszudenken, wenn man solche Stümperei wie bei der Enthauptung des Comte de Chalais befürchten müsste.«
    »Der Name sagt mir nichts.«
    »Der Ärmste lebte vor unserer Zeit. Man hat ihn wegen verschwörerischer Umtriebe gegen Kardinal Richelieu verurteilt. Dieser Anfänger von einem Scharfrichter hat mit seinem Schwert zwanzig Mal zuschlagen müssen, bis Chalais endlich tot war. Und erst nach neun weiteren Hieben war der Kopf ab. Da lobe ich mir doch die Louisette – ein sauberer Schnitt und …«
    »Das genügt!«, schrie Arian. Seine Haut war ein einziges Stoppelfeld.
    Clavière kicherte. »Ganz schön zartbesaitet für so ein derbes Narbengesicht. Übrigens, ein hübsches Auge haben Sie da. Ist das ein Rubin? Damit könnten Sie sich beim Concierge einige Annehmlichkeiten …« Der ausgemusterte Politiker verstummte und zog sich mit angsterfüllter Miene ins Halbdunkel seiner Zelle zurück.
    Im Gang war eine Gestalt erschienen, die er wohl nicht zum ersten Mal sah. Sie trug das braune Habit eines Kapuzinermönchs. Unter der tief in die Stirn gezogenen Kapuze vermochte Arian nur ein flaumiges Kinn auszumachen, keinen Vollbart, wie es die strengen Ordensregeln der Kapuziner eigentlich verlangten. Die Revolutionäre hatten, wie er von Mira wusste, sämtliche Klöster aufgelöst. Dieser Mönch war falsch.
    »Was soll die Maskerade?«, fragte Arian argwöhnisch.
    Sein Gegenüber schob die Kapuze etwas zurück, sodass mehr Licht auf das Gesicht fiel.
    Arian erschauderte. Es war sein eigenes.
    Wütend griff er durch das Gitter, um sich seinen Körper zurückzuholen, aber Morpheus war schneller. Mit einem raschen Schritt brachte er sich außer Reichweite.
    »Du wirst deine Hülle niemals zurückerhalten«, sagte er hämisch. Er sprach Englisch, vermutlich wegen der anderen Gefangenen. Seine Stimme war allerdings so leise,

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