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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Paris.
    Wie ein Bluthund folgte er Morpheus’ Fährte.

Wie unser Held den Metasomenfürsten
durch die Straßen von Paris verfolgt
und dabei vom Jäger zum Gejagten wird.
      
      
      
    Paris, 13. Juli 1793
      
    Wo war Mira? Beim Verlassen des Theaters sah Arian weder auf dem Boulevard Saint-Martin ein Blumenmädchen noch unter dem Triumphbogen, wohin er die Nachricht für Tarin geschickt hatte. Ihm fielen nur zwei Erklärungen für ihr Verschwinden ein: Entweder war sie dem fliehenden Metasomenfürsten gefolgt oder Morpheus hatte sie entdeckt und entführt oder gar …
    Nein, dem Gedanken an ihren Tod verweigerte sich Arian. Er liebte sie mehr als jeden anderen Menschen. Verlier nur die Witterung nicht, ermahnte er sich immer wieder, dann wirst du Mira wiederfinden .
    Die Spur des Seelendiebes führte nicht etwa aus der Stadt heraus, sondern mitten ins dichteste Gewühl hinein.
    Zur Place de la Révolution.
    Zum Blutgerüst.
    Die Maschine, wie viele die Guillotine nannten, war schon wieder in Betrieb. »Volksfeinde« gab es scheinbar genug, um dem Henker von Paris und seinen Mitarbeitern keine Ruhepause zu gönnen. Arian lief zwischen den Leuten hindurch, die ihre Hälse reckten, um nicht zu verpassen, wie die der Verurteilten abgeschnitten wurden. Für die feineren Herrschaften waren Tribünen aufgebaut. Wenn der nächste Delinquent aufs Schafott geführt wurde, blickten sie durch ihre Operngläser und beobachteten den Ablauf der Hinrichtung. Sie lobten die Besonnenheit des Scharfrichters und seiner Gehilfen, wie sie die Todgeweihten geschickt an Armen und Beinen packten, sie bäuchlings auf den Opfertisch der Revolution drückten, das Brett umklappten und zuletzt das Fallbeil herabsausen ließen. Mit wie viel Anstand und Ernst diese Männer ihrem Handwerk nachgingen! Da wurde nicht gegrinst oder gefeixt. Man wusste schließlich, was man der Menschenwürde schuldig war.
    Arian versuchte nicht hinzusehen, wenn wieder ein Kopf in den Korb fiel. Die Beifallsrufe des Publikums hörte er trotzdem und auch das vielstimmige »Vive la République! Vive la Nation!« – »Es lebe die Republik! Es lebe die Nation!«. Was suchte Morpheus ausgerechnet hier? Ob er ahnte, dass sein Urenkel ihm auf den Fersen war? Hoffte er, eventuelle Verfolger im Getümmel leichter abzuschütteln? Dann irrte er.
    Denn gerade hatte Arian ihn entdeckt, inmitten eines Trupps von Füsilieren im blauen Rock der Nationalgarde.
    Morpheus gestikulierte heftig. Er musste sichtlich kämpfen, um seine Autorität als Monsieur M. geltend zu machen. Obwohl es die aufgepeitschte Menschenmenge nicht zuließ, meinte Arian tatsächlich zu hören, wie er sagte: Ich bin es, Mortimer. Du musst tun, was ich dir sage. Der Fürst redete auf einen hageren, eierköpfigen Mann ein, der einen grünen Frack mit großem, rotem Kragen trug. Er hatte üppiges braunes Haar, ausgeprägte Wangenknochen, ein mageres Gesicht voller Quaddeln, einen breiten Mund und eine spitze Nase, auf deren Rücken man hätte Holz spalten können. Der Feuerkristall indes zeigte ihn als Katzenmenschen, ein untrügliches Zeichen für Eigensinn und wohl auch für Falschheit.
    »Jean Paul Marat!«, flüsterte Arian. Mit einem Mal fiel ihm der Name ein. Er hatte in der Times eine Zeichnung des Verlegers gesehen, dem der Ami du Peuple – der »Freund des Volkes« – gehörte. Seine Zeitung verstand sich als Stimme der revolutionären Massen und stiftete ihre Leser dazu an, Mitbürger zu bespitzeln und zu denunzieren. Das jedenfalls behauptete Mira.
    Während der Reise hatte sie Arian so einiges über diesen »Herold des Schreckens« erzählt, der ihre Eltern auf die Guillotine geschrieben hatte. Er sei ein verkrachter Wissenschaftler und unersättlicher Menschenschlächter. Im Mai 1790 habe er sich für die Enthauptung von fünfhundert Volksfeinden ausgesprochen, vier Monate später forderte er für das »Glück der Nation« bereits zehntausend Opfer und im darauffolgenden Januar waren es schon einhunderttausend. Ihn hier im Gespräch mit Morpheus zu sehen, umgeben von bewaffneten Nationalgardisten, bedeutete sicher nichts Gutes.
    Plötzlich zeigte einer der Soldaten auf Arian und schrie aufgeregt : »Der Einäugige. Da ist der Mann!«
    Zahlreiche Blicke wandten sich ihm zu.
    Marat rief: »Er gehört auch zu den Verrätern. Ergreift ihn!«
    Arian wirbelte herum und rannte los. Seine Flucht war ein Hindernislauf. Die Leute verstellten ihm den Weg. Manche gafften nur mit offenem Mund, andere

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