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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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der rührende Versuch, aus Keramikfliesen, einem überhitzten Kupferkessel, zischenden, pfeifenden und rumorenden Rohren sowie ein paar zwiebelförmigen Spitzbögen die Illusion eines orientalischen Dampfbades zu erzeugen. Kein Maure oder Ottomane, der etwas auf sich hielt, hätte seinen nach Entspannung lechzenden Leib freiwillig in eine solche Waschküche bewegt.
    »Sir?« Spricht man so einen Verbrecherkönig an?
    »Komm näher. Ich unterhalte mich nicht gerne mit Geistern«, sagte eine tiefe, raue Stimme.
    Obwohl Arian sich wie eine Krabbe im Kochtopf fühlte, zitterte er, und das lag nicht nur an dem Mann, der ihn zu sehen verlangte. Er spürte etwas. Eine Präsenz. Es war wieder dieses seltsame Gefühl, das er zum ersten Mal vor der Westminster Abbey bemerkt hatte. Wollte man es mit einem Duft vergleichen, dann wäre dieser hier nicht dunkel und modrig, sondern eher von betäubender Schwere. Wie auch immer, da war noch jemand im Raum. Oder nahm er nur das Echo des Seelendiebs wahr, der sich Turtlenecks Körper ausgeliehen hatte?
    »Sind wir alleine, Sir?«
    »Ja doch! Du hast Sutton ja unmissverständlich klar gemacht, dass deine Sache nur für meine Ohren bestimmt ist. Jetzt komm endlich her!«
    Zögernd lief Arian auf das Licht zu. Die Antwort beruhigte ihn nicht wirklich. Selbst wenn ihn nur ein Widerhall des Unholds quälte, musste er trotzdem dessen »Hinterlassenschaft« fürchten. Slits Behauptung zufolge hatte Mortimer dem King einen roten Kristall gegeben. Damit er jeden durchschauen kann…
    Um nicht den Fehler zu wiederholen, der ihn am Mittag seinen Körper gekostet hatte, suchte er beim Besitzer der heiseren Stimme nach Anzeichen einer besonderen Gabe. Aus den Dampfschwaden schälte sich eine schemenhafte Gestalt, die auf einer steinernen Bank saß. Sie leuchtete nicht im Geringsten. Das bedeutete, der Obergauner von London war ein ganz normaler Mensch.
    Arian blieb zwei Schritte vor ihm stehen.
    »Gratuliere«, sagte der King. In seinem zernarbten, breiten Gesicht klaffte ein Loch, eine leere Augenhöhle, um genau zu sein. Eigentlich hätte Arian froh darüber sein müssen, aber der Anblick ließ ihn dennoch schaudern.
    Turtleneck war etwa Anfang vierzig und hatte sich, urteilte man nur nach dem Hals, für sein Alter erstaunlich schlecht gehalten. Der von Henkern so hoch geschätzte Körperteil war bei ihm verblüffend faltig, plissiert wäre vielleicht ein besserer Ausdruck. Auch sonst war er eine Gestalt zum Fürchten, wozu nicht unwesentlich seine massige, brutale Erscheinung beitrug. Dass er über mehr Muskeln als Fett verfügte, ließ sich nicht leugnen, weil er bis auf ein Leinentuch um die Lenden nackt war. Seine schweißnasse Haut glänzte wie eingeölt. Neben ihm lag etwas Rotes auf der Bank, das wie ein Rubin aussah.
    Der Feuerkristall!
    »Ich hab es rausgenommen«, sagte Turtleneck. Er hatte Arians Blick bemerkt. »Es heizt sich immer von dem Dampf auf und beschlägt. Das ist, als hätte man eine glühende Kanonenkugel im Kopf. Ich hoffe es stört dich nicht, dass ich keine Augenklappe trage.«
    »Überhaupt nicht«, behauptete Arian, heilfroh darüber, dass der King halb blind war. »Und vielen Dank für den Glückwunsch, Sir.«
    Das Narbengesicht grinste. »War höchste Zeit, mir den Hexenmeister vom Hals zu schaffen. Ihr zwei habt gute Arbeit geleistet, du und Slit. Ich verdoppele eure Belohnung.«
    »Danke, Sir. Das ist sehr großzügig von Ihnen.« Arian rang nach Luft. Der Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper. »Ohne Slit hätte ich es nicht geschafft.«
    »Tatsächlich?« Turtlenecks verbliebenes Auge zog sich zusammen.
    »Und ob! Sein Messer hat Mortimer genau an der richtigen Stelle angestochen. Das Blut ist aus ihm rausgelaufen wie der Rote aus einem Weinfass. Danach war es leicht, ihn die Wabbey runterzuschmeißen.«
    »Slit meinte, du hättest etwas für mich. Etwas, das du nur mir sagen wolltest. Geht es um den jungen Seiltänzer von Dean’s Yard, mit dem der Hexenmeister noch vor seinem Tod gesprochen hat?«
    »Nicht direkt«, antwortete Arian. Er hatte sich die Geschichte, die er nun erzählte, auf dem Marsch nach Soho ausgedacht. Sie war ein raffiniertes Gespinst aus Halbwahrheiten, von dem er hoffte, dass es den King überzeugte. Er habe, so berichtete er, den Puppenspieler Mike Astley bis zum Amphitheater in der Stangate Street verfolgt. Dort konnte er ein Gespräch zwischen dem Jungen und seinem Förderer, dem alten Dragoner, belauschen. Wie sich

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