Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau

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deutlich? Bin wohl zu lange von zu Hause fort gewesen.«
    »Darauf kannst du einen fahren lassen. Was führt dich in unser schönes, nebliges Soho?«
    »Bin mit jemandem vom Kontinent rübergekommen, der sich in diesem stinkenden Loch, das sich London nennt, nicht auskennt.«
    Turtlenecks Augen verengten sich zu Schlitzen. »Aus Frankreich? Wie heißt dieser Mann?«
    »Wer sagt denn, dass es nicht eine Frau ist?«
    »Weibsbilder reisen nicht allein.«
    »Deswegen bin ich ja dabei.«
    »Erzähl mir keine Märchen, Zed. Lautet sein Name vielleicht Mortimer?«
    Ein Ruck ging durch den Alten. Auf einmal wirkte er gar nicht mehr so hinfällig. »Meinst du etwa den Mortimer? Den Changeur aus Paris? Nein, mit dem habe ich nichts zu schaffen. Im Gegenteil. Ich würde gerne eine Rechnung mit ihm begleichen. Was weißt du über ihn?«
    Der glänzende Körper des Verbrecherkönigs versteifte sich und seine Augen wurden noch schmaler. »Komm doch mal etwas näher, Zed, damit ich dich besser sehen kann. Wie bist du eigentlich hereingekommen? Mein Hamam ist nämlich mein Allerheiligstes, musst du wissen. Da spaziert man nicht einfach so herein, als wäre es ein Hurenhaus.«
    »Also nackte Haut gibt es hier wie da«, kicherte der Bucklige. Sein faltiges Gesicht war hochrot und wirkte so unbekümmert wie bei einem Knaben. Er machte einen Schritt auf Turtleneck zu.
    »Noch ein bisschen dichter, Zed. Bist du auf deine alten Tage unter die Voyeure gegangen?«
    »Gott bewahre, nein! Ich wollte dich warnen.« Der Greis deutete auf Arian. »Vor dem da. Aber wie es aussieht, hast du die Sache ja im Griff.« Er trat vollends aus den Dunstschwaden hervor, wobei er nun fast aufrecht ging – es schien, als habe das Dampfbad ihn auf wundersame Weise verjüngt. Seltsamerweise wackelte er beim Gehen mit dem Hintern wie eines der leichten Mädchen von Soho. Auf einmal riss er die Augen auf und keuchte. Er fasste sich an die Brust, geriet ins Wanken und kippte mit einem Röcheln nach vorn. Seine Rechte suchte nach Halt und ergriff die einzige Hand, die sich ihm entgegenstreckte.
    Arian hatte nicht nachgedacht. Die Achtung vor dem Alter war Teil seiner Persönlichkeit – man lässt einen Greis nicht einfach fallen. In diesem Augenblick bereute er seinen Reflex. Ein fast schon vertrautes Ziehen schoss durch seinen Körper. Zeds Gestalt schien sich aufzulösen …
    … und im nächsten Moment sah er Hooter vor sich.
    Arian unterdrückte den Aufschrei, der ihm in der Kehle steckte. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass dieser Mr Blacksmith seine Rettung sein konnte. Seinen alten Lehrmeister würde Turtleneck vielleicht verschonen. Arian riss sich von der Hand des Walisers los. Sein Gegenüber wirkte nicht weniger überrascht als er.
    »Geht’s wieder?«, fragte der King.
    »Ich muss …« Ein heftiger Schwindel ließ Arian unvermittelt innehalten. Er griff sich an die Brust und keuchte. Sein Herz stolperte, so als wolle es jeden Augenblick ganz zu schlagen aufhören. Jäh kam ihm zu Bewusstsein, was da gerade mit ihm geschah. Er hatte ein zu großes Seelengewand gegen ein zerschlissenes eingetauscht. Der Greisenkörper vertrug die Hitze nicht. Fühlt es sich so an, wenn man stirbt? Das Dampfbad drehte sich um ihn wie ein Karussell.
    »Halt, du verdammter … !«, schrie Slit.
    Arian wankte. Sein Blick verschwamm. Den Geräuschen nach zu urteilen, hatte Hooter die Verwirrung genutzt und sich von dem Dicken losgerissen. Die Tür flog auf. Aus dem Gang ertönten Schreie. Die Präsenz der anderen entfernte sich. Dem alten Zed war im neuen Körper die Flucht gelungen. Arian dagegen brach röchelnd zusammen. Ihm wurde schwarz vor Augen und er verlor die Besinnung.

Arian erwacht in einer neuen Fleischeshülle,
die ziemlich alt aussieht
und seine schauspielerischen Talente
auf eine harte Probe stellt.



    London, 7. Juni 1793

    Irgendetwas biss ihm in die Nase. Hustend öffnete Arian die Augen. Er lag auf dem Rücken. Auf einer weichen Unterlage. Die Luft war angenehm kühl und trocken. Über ihm schwebte ein ernstes Gesicht. Es lugte unter einer weiß gepuderten Perücke hervor und ließ auch sonst keine Anzeichen himmlischer Abstammung erkennen.
    »Sie sind noch nicht tot«, sagte es. Zumindest konnte es wohl Gedanken lesen.
    Arian blinzelte. Angewidert stieß er die Hand zur Seite, die ihm das beißende Riechsalz unter die Nase hielt. »Was ist mit mir geschehen?«
    »Sie sollten auf Ihre alten Tage Dampfbäder meiden, Mr Blacksmith.