Die Masken des Morpheus
gegen den Strich. Die Revolutionäre in deiner Heimat sprechen mir aus dem Herzen: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für jeden.«
»Wenn’s nur so wäre! Die Wirklichkeit sieht anders aus. Meine Eltern waren weder gleich noch frei, als sie auf der Guillotine starben.« Mira lief an ihm vorbei in das benachbarte Zimmer und schluchzte laut.
»Das tut mir leid. Warte!«, rief Arian und eilte ihr hinterher. Er entsann sich gelesen zu haben, dass der Arzt Joseph-Ignace Guillotin der französischen Nationalversammlung das Fallbeil empfohlen hatte, um die Hinrichtungen zu »humanisieren«. Menschlichkeit und das Enthaupten von Andersdenkenden waren allerdings zwei Dinge, die nach Arians Dafürhalten grundsätzlich nicht zueinander passten, wie Miras Gefühlsausbruch ihm mehr als deutlich zeigte.
Sie stand neben der Öllampe und starrte in die flackernde Flamme. Die von Hooter geliehenen Hände hatte sie zu Fäusten geballt – seine rechte Pranke umklammerte das Stilett. Die Miene des Walisers wirkte wie versteinert, auf seinen Wangen glänzten Tränen. Etwas Bedrohliches schwang in seiner tiefen Stimme. »Wer immer den Auftrag dazu gegeben hat, meine Familie auszulöschen, wird es bitter bereuen. Und wenn ich mit ihm fertig bin, knüpfe ich mir seine Schergen vor. Für diesen Jean Paul Marat denke ich mir was Besonderes aus.«
»Marat? Heißt so nicht ein Pariser Zeitungsmann, der in der Revolution eine große Nummer ist?«
Mira nickte. »L’Ami du Peuple lässt er sich nennen – der Volksfreund.« Sie spuckte auf den Boden. »Für mich ist er ein Totschreiber: Er hat sich dazu anstiften lassen, meine Eltern in seinem Hetzblatt als Volksfeinde anzuklagen, und sie später vor einem Revolutionstribunal denunziert. Seitdem gibt es zwischen mir und seinem Auftraggeber ein Katz-und-Maus-Spiel – jeder versucht den anderen zuerst zur Strecke zu bringen.«
»Was weißt du über ihn? Meinen Urgroßvater, meine ich.«
»Er hat drei Kinder gehabt. Zwei Jungs und ein Mädchen …«
»Meine Großmutter Lorina. Sie war eine Meisterspielerin, so wie mein Großonkel Zoltán und ich.«
»Vater erzählte mir, alle Plagiatoren – so nannte er die Abkömmlinge Mortimers – besäßen besondere Fähigkeiten, die an Hexerei grenzten.«
»Es sind nur außergewöhnliche Begabungen zur Erschaffung von Scheinwirklichkeiten. Eine Kostprobe hast du gerade erlebt.«
»Stimmt es, dass Zoltán leblose Puppen beseelen konnte?«
»Das habe ich ihm ausgetrieben.«
»Du warst das?« Ein anerkennender Pfiff kam aus Hooters Mund. »Anscheinend kann ich dir über deine Familie nichts Neues erzählen. Von deinem anderen Großonkel hörte ich, dass er Pan heißen soll, so wie der alte Hirtengott. Er besitzt die Gabe, Menschen in Tiere zu verwandeln …«
»Warte mal!«, stieß Arian hervor. Er riss die Augen auf und klatschte sich die Hand gegen die Stirn. »Ich Trottel! Dass ich daran nicht gedacht habe!«
»Woran?«
Er berichtete von dem seltsamen Papagei im Amphitheater, der wie ein Mensch geschimpft hatte. »In dem bunten Federkleid muss ein Mann oder eine Frau gesteckt haben. Das kann nur bedeuten, dass Mortimer und sein Sohn zusammenarbeiten. Und…« Arian starrte mit glasigem Blick vor sich hin und schüttelte den Kopf. Er hatte das Gefühl, vor seinen Füßen öffne sich plötzlich ein schwarzer Abgrund. Großmutter Lorina hatte einmal über ihren Vater gesagt, seine Macht sei zu grauenvoll, um auch nur darüber zu reden. »Das hieße dann wohl, dass mein eigener Urgroßvater Zoltán dazu angestiftet hat, meine Eltern zu ermorden.«
»Wäre möglich.«
»Was heißt hier wäre? So muss es gewesen sein.«
»Es klingt zumindest einleuchtend. Bloß gibt es in diesem Spiel noch andere Figuren, Personen, von denen du wohl nichts weißt. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Mortimer dir den Körper gestohlen hat. Es könnte auch sein Leibdiener Xix gewesen sein. Schon mal von ihm gehört?«
»Ja. Der Seelendieb hat ihn erwähnt. Dieser Xix soll sich gegenüber Sergeant Major Astley als dein Vater ausgegeben haben.«
»Was?«, entfuhr es Mira. Ihre Überraschung wirkte echt.
Arian blieb trotzdem misstrauisch. »Merkwürdiger Zufall – findest du nicht?«
»Glaubst du etwa, mein Vater hätte deine Eltern verraten?«, fauchte sie.
Er wich ihrem Blick aus. »Ich weiß nicht. Sag du es mir.«
»Hast du mir nicht zugehört? Meine Eltern sind selbst Opfer der Intrigen deines Urgroßvaters geworden. Außerdem waren unsere Väter
Weitere Kostenlose Bücher