Die Masken des Morpheus
ein Schuss.
Die Kugel zischte an seinem Ohr vorbei.
Mira kreischte auf, wurde von der Wucht des Treffers vornüber in den Matsch geschleudert und regte sich nicht mehr.
Auch Arian schrie. Es zerriss ihm schier das Herz, das Mädchen dort liegen zu sehen, von Wellen umspült wie ein Stück Treibgut am Strand. Die Dämme, die seinen Zorn zurückgehalten hatten, brachen. Es war, als schwemmte eine blutrote Flut seinen Willen zur Mäßigung fort. »Mörder!«, brüllte er und wirbelte mit erhobenem Degen herum.
Sein Irrgarten der Illusionen war nun völlig in sich zusammengefallen. Im fahlen Licht des aufziehenden Morgens sah er die zwei Dutzend Kämpfer mit ihren Rapieren. Nur wenige hielten Flinten in den Händen. Die dunklen Gestalten schlichen herbei wie Wölfe, die ein gefährliches Beutetier in die Enge getrieben hatten und sich nun Zeit ließen, ihm den Garaus zu machen. Wer waren diese Männer? Sie trugen keine Uniformen, konnten also keine französischen Füsiliere sein. Und wohl auch kein englischer Stoßtrupp.
Eigentlich war es ihm egal. Sie hatten Mira niedergestreckt, nur das zählte.
Schreiend rannte er auf den nächstbesten Gegner zu. Wenn ich schon sterben muss , dachte Arian, dann verkaufe ich euch meine Haut wenigstens so teuer wie möglich . Im roten Licht des Steins flackerte vor ihm die Gestalt eines Basilisken auf, eines Mischwesens mit dem schlanken Oberkörper eines Kampfhahns und dem Unterleib einer Schlange. Das Haupt des Ungeheuers schmückte eine Krone.
Vielleicht der Anführer, deutete Arian die schemenhafte Erscheinung. Er kochte vor Wut. Das Lumpenpack sollte für das bezahlen, was es Mira angetan hatte. Alles Misstrauen, das er je ihr gegenüber empfunden hatte, war wie weggeblasen. Sein Sinn wurde von schwarzem Hass überschwemmt, sein Herz bestand nur noch aus Schmerz …
Mit lautem Klirren traf sein Degen auf den Parierdolch des Gegners. Der stach mit dem Rapier zu, womit Arian gerechnet hatte. Sein geliehener Körper bog sich erstaunlich geschmeidig und die lange Klinge fuhr hinter seinem Rücken ins Leere. Gleichzeitig zielte er mit der Degenscheide auf den Hals des Basiliskenmannes. Der neigte den Oberkörper zur Seite und das spitze Ende des vorschnellenden Stockschaftes bohrte sich in seine linke Schulter.
Er ließ keuchend seinen Dolch fallen und taumelte zurück. »Gib auf. Du musst nicht sterben«, ächzte er, diesmal in Englisch.
»Ha!«, lachte Arian bitter. Inzwischen umringten sie mindestens zehn dunkle Gestalten, doch schon um Miras willen ließ er sich von der Furcht nicht lähmen. Wutentbrannt stürzte er sich erneut auf den Gegner.
Es war wie ein Todestanz. Erbittert drang Arian mit seinem Degen ein ums andere Mal auf den Schwarzrock ein, der sich trotz seiner Verletzung erstaunlich gewandt verteidigte. Die Männer, die den Kampf verfolgten, feuerten ihren Anführer an. Der Lärm übertönte das Ächzen und Schnaufen der beiden Kontrahenten und machte es Arian unmöglich, seinen Widersacher mit Bauchrednertricks abzulenken.
Er wich vor einem mächtigen Hieb des Rapiers zurück. Sofort stürzte er sich erneut auf den Gegner. Dabei übernahmen einmal mehr Turtlenecks Reflexe die Kontrolle. Ohne bewusstes Zutun stieß Arian den Fuß in den Boden, Sand wurde aufgewirbelt und spritzte ins Gesicht des Basiliskenmannes. Wütend setzte Arian zum tödlichen Stoß an …
Da traf ihn ein Schlag am Kopf.
Ihm wurde jäh übel. Sterne tanzten vor seinen Augen. Er wankte zurück, wieder vor und sackte auf die Knie. Wie ein Ertrinkender rang er nach Atem und kämpfte zugleich gegen die dunkle Ohnmacht an, die seinen Blick umwölkte. Turtlenecks Schädel musste zäh wie ein Schildkrötenpanzer sein, wenn ihn ein solcher Hieb nicht sofort umhaute. Gleichwohl, das Blatt hatte sich für Arian gewendet. Hilflos und halb blind schlug er mit dem Degen um sich. Er sah nur aschgraue Schemen und rechnete jeden Moment mit dem Todesstoß.
Plötzlich erscholl aus der Nähe ein Schuss. Jemand schrie. Ein zweiter Knall folgte und wieder brüllte ein Getroffener auf. Zwei Körper fielen zu Boden.
Die schattenhaften Gestalten, die ihn gerade noch umzingelt hatten, liefen auseinander. Er hörte aufgeregte Rufe. Klingen trafen klirrend aufeinander. Die Geräusche drangen wie durch Watte in sein umwölktes Bewusstsein vor. Wer kam ihm da zu Hilfe? Und wie viele waren es? Die Schwerthiebe prasselten so schnell auf die Rapiere der Schwarzröcke, dass er mit einem ganzen Trupp von Rettern
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