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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bewahrt. Glücklicherweise war dann Tarin erschienen, so als habe ihn der Himmel geschickt. Wenn man ihn allerdings bei Licht betrachtete, konnten einem daran Zweifel kommen.
    Unter den revolutionären Franzosen mochte seine unkonventionelle Erscheinung ja wenig Aufsehen erregen, doch in den feinen Stadtvierteln von London wäre dieser junge Mann zweifellos aufgefallen. Er war ungefähr fünf Jahre älter als Arian, einen halben Kopf größer als dieser, hatte strahlend blaue Augen und schwarze, halblange Haare, die er weder mit einem Hut bedeckte noch in einem Zopf ordnete. Seine Kleidung erinnerte an die Hauptfigur von Goethes Roman Die Leiden des jungen Werther : blauer Tuchfrack mit Messingknöpfen, gelbe Weste, farblich dazu passende Lederhosen und schwarze Stiefel mit braunen Stulpen. Sogar die Pistolen des tragischen Helden fehlten nicht. Der hatte sie sich allerdings nur geliehen, um sich damit umzubringen. Tarins Waffen waren hingegen ein fester Bestandteil seiner Garderobe. Er trug sie in Lederholstern unter der Jacke.
    Sein Körper schien nur aus Knochen, Sehnen und Muskeln zu bestehen. Während er wie jetzt still auf einem umgefallenen Baum saß, den blank geputzten Degen auf den Oberschenkeln, ließ seine schlanke Statur kaum ahnen, was für ein begnadeter Schwertkämpfer er war. Doch sobald er sich rührte, wirkten seine Bewegungen so geschmeidig wie bei einem Panther. Die gebogene Nase erinnerte eher an einen Adler. Der Feuerkristall zeigte ihn indes mit einem Löwenhaupt, was Arian verunsicherte: In der Heiligen Schrift stand der König der Tiere sowohl für Jesus – den »Löwen aus dem Stamme Juda« – als auch für den alles verschlingenden Teufel. Dementsprechend zurückhaltend begegnete er ihrem Retter.
    »Sie kommen aus Deutschland?«
    »Ja. Hört man das?«, fragte Tarin. Seine helle, wohltönende Stimme klang unbekümmert, geradezu fröhlich, so als hätte es nie einen Kampf auf Leben und Tod gegeben. Er hatte Arian und Mira nach dem Gefecht zu den Pferden der Mörderbande geführt, lautlos einen ihrer Wächter überwältigt und kurzerhand drei Tiere »requiriert« – er meinte, die Toten könnten zu Fuß in die Hölle gehen. Aus Calais war gerade, vermutlich von den Schüssen auf den Plan gerufen, ein Trupp Nationalgardisten angerückt. Selbst deren Flinten hatten Tarin nicht aus der Fassung bringen können. Er befahl seinen Begleitern aufzusitzen und ihm zu folgen. Dann war er losgeprescht.
    Nach einem kurzen, scharfen Ritt rasteten sie nun auf einer Lichtung in einem Wäldchen unweit der kleinen Stadt Marck. Arian ging unruhig auf und ab. »Und ob man das hört!«, antwortete er auf Deutsch. »Ich bin in Franken geboren und spreche die Sprache fließend.«
    Mira kauerte bei den Pferden auf dem laubbedeckten Waldboden und untersuchte ihre durchlöcherte Tasche. Mit gerunzelter Stirn sah sie davon auf. »Können wir die Unterhaltung in meiner Muttersprache weiterführen?«
    Tarin neigte lächelnd das Haupt und erwiderte auf Französisch: »Wie könnte ich einer so liebreizenden Dame einen Wunsch abschlagen?«
    Sie zog den Kopf ein und kicherte.
    Arian seufzte. Es ging ihr augenscheinlich besser, nachdem er ihre Kopfwunde mit Lavendelöl aus ihrem Reisegepäck gesäubert hatte. Einerseits freute er sich, sie wieder wohlauf zu sehen, andererseits gefiel es ihm ganz und gar nicht, wie dieser Tarin ihr dauernd Komplimente machte. Seine Schmeicheleien schienen ihr auch noch zu gefallen. »Ich wiederhole, was ich schon am Strand gesagt habe: Wir danken Ihnen, Monsieur, weil sie uns die Bande vom Hals geschafft haben. Nichtsdestotrotz verlangt unsere Mission ein gesundes Maß an Vorsicht. Ich finde, das ist ein passender Zeitpunkt, uns etwas mehr über Sie zu verraten.«
    Der junge Schwertkämpfer zuckte mit den Schultern. »Was wollen Sie wissen?«
    »Wer sind Sie?«
    »Ich dachte, das hätte ich bereits erwähnt.«
    »Heißen Sie nur Tarin? Das könnte ebenso gut deutsch wie französisch sein.«
    Mira blickte erneut von ihrer Tasche auf. »Pierre Tarin ist hier bei uns ein großer Arzt. Er hat viele Beiträge für die Encyclopédie verfasst.«
    »Dann sind Sie mit ihm verwandt, Monsieur?«, hakte Arian nach.
    »Nicht im Geringsten«, antwortete der Gefragte. »Mein Name ist ein Pseudonym. In diesen Zeiten kann man nicht vorsichtig genug sein.«
    »Sie haben gerade Ihren Hals für uns riskiert, Monsieur Tarin. Können Sie da nicht wenigstens uns Ihre Herkunft verraten?«
    »Nein.«
    »Wie sollen

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