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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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nach Osten führt die Gefährten mitten ins Kriegsgebiet
und in die trügerische Sicherheit eines dunklen Waldes.
      
      
      
    Saint-Amand, 11. Juni 1793
      
    Der Ochsenkarren zuckelte im Schritttempo über die schlammige Straße nach Lecelles. Es nieselte. Auf dem Wagen saß eine zahnlose Greisin, die einen Säugling im Arm hielt. Nebenher liefen ein Bauer, seine Frau und zwei weitere Kinder. Ihre Gesichter waren schmutzig, wie versteinert, die Augen hoffnungsleer. Was sie gesehen hatten, mochte sich Arian lieber nicht vorstellen. Sein Bedarf an Armut und Leid war nach drei Tagen schon mehr als gedeckt.
    So lange saßen die Gefährten nun bereits im Sattel, als endlich Saint-Amand in Sicht kam. Hier befand sich gewissermaßen die Öffnung des »Hexenkessels«, den Tarin zu durchqueren gedachte. Noch im Frühjahr hatte sich in der Stadt das Hauptlager des Revolutionsgenerals Dumouriez befunden. Nach der Kanonade von Valmy vom letzten September hatte man ihn als Helden der Revolution gefeiert. Seine Niederlage bei Neerwinden im März weckte dann den Argwohn der Jakobiner im Nationalkonvent und sie versuchten ihn festzunehmen. Paris fordere zwar seinen Kopf, sollte er gesagt haben, er sei aber nicht geneigt, darauf zu verzichten. Danach war er zum Feind übergelaufen.
    Das sich anschließende Katz-und-Maus-Spiel der Österreicher und ihrer Verbündeten mit den Franzosen hatte die Gegend rund um das immer noch belagerte Condé verwüstet. Armeen seien vielköpfige Ungeheuer, die alles verzehrten, was auf ihrem Weg liege, schlimmer als ein biblischer Heuschreckenschwarm, hatte Sergeant Major Astley seinem Zögling einmal gesagt. Nun sah es Arian mit eigenen Augen. Auf ihrem Ritt waren sie an geplünderten und niedergebrannten Höfen vorbeigekommen, hatten zerstörte Felder gesehen und Skelette von Tieren, die entweder verendet oder geschlachtet und gleich am Wegesrand aufgegessen worden waren. Die Familie, die mit ihrem zweirädrigen Karren an ihm vorüberzog, hatte wenigstens noch ein Rind. Er nickte ihnen zu. Niemand reagierte.
    »Unsere überall siegreichen Waffen müssen den Völkern Befreiung und Glück bringen – und die Welt wird gerächt sein«, sagte Mira mit düsterer Miene.
    Arian sah sie überrascht an. Bisher hatte sie alle Strapazen der Reise bewundernswert klaglos erduldet. Um sich die Beine nicht aufzuscheuern, trug sie unter dem Rock eine Männerhose, die sie einem einbeinigen Kriegsveteran in dem Fünfhundertseelendorf Guemps abgekauft hatte. »Nennst du das Glück?«, er deutete mit dem Daumen über die Schulter zu der Bauersfamilie.
    »Sie hat nur den Vorsitzenden des Wohlfahrtsausschusses zitiert«, brummte Tarin von der anderen Seite. Sein Blick suchte den Himmel ab.
    »Wen?«
    Mira stöhnte. »Georges Danton. Oder vielmehr den Tauscher, der in seinem Körper steckt. Als er vor dem Konvent für die Einrichtung des Revolutionstribunals plädierte, hat er die Befreiung der Völker durch die Revolution beschworen. Du siehst ja, was dabei herauskommt.«
    »Ich hoffe nur, die Rache, von der er sprach, trifft nicht uns, sondern die Schwarzen Wölfe.« Der bisherige Ritt entlang der Grenze war ein ständiges Versteckspiel gewesen. Wo immer möglich, hatten sie die Deckung von Bäumen gesucht, um sich vor Mortimers fliegenden Spionen zu verbergen. Seine dunklen Reiter sahen sie nur ein einziges Mal, und das auch nur aus der Ferne.
    Den Truppen der beiden Kriegsparteien auszuweichen, erwies sich da schon als erheblich schwieriger. In der Nähe von Calais waren es vor allem die Franzosen, denen sie hatten ausweichen müssen. Schuld daran waren ironischerweise weniger die Österreicher, Hannoveraner und Engländer als vielmehr die untereinander zerstrittenen Revolutionäre selbst.
    Paris war vom 31. Mai bis zum 2. Juni von heftigen Unruhen heimgesucht worden. Dahinter steckten die Sansculotten, die sich im Gegensatz zu den Adligen und den Geistlichen sans culotte, also »ohne Kniehose«, und mit roten, keck nach vorn gezipfelten Wollmützen kleideten. Achtzigtausend Mitläufer dieser aufgebrachten Arbeiter und Kleinbürger hatten das Tuilerien-Schloss umstellt und den Nationalkonvent, die verfassungs- und gesetzgebende Versammlung der jungen Republik, mit einhundertdreiundsechzig Kanonen bedroht. Um sie zu besänftigen, stellte man schließlich die gemäßigteren Abgeordneten der Girondins unter Hausarrest und überließ damit den radikaleren Kräften, vor allem den Jakobinern, das Feld. Der Unmut

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