Die Masken des Morpheus
Cäscharlager.«
»Cäsar-?«
Er stampfte abermals mit dem Stock auf. »Dasch Feldlager der Franzoschen, dasch die Preuschen vor ein paar Tagen umkeschelt haben. Esch liegt unter den Mauern von Bouchain.«
Aus der Höhe ertönte plötzlich ein helles Gelächter.
Arian zog unwillkürlich den Kopf ein.
»Schnell in den Wald!«, drängte Tarin. Sein Blick suchte den Himmel ab.
Der Greis kicherte. »Kanonenkugeln pfeifen andersch. Dasch war nur eine Kornweihe.«
Die Hufe der Pferde wirbelten regenfeuchte Erde auf, während sie auf das dunkle Gehölz zugaloppierten. Das dumpfe Getrappel kam Arian wie Donner vor. Verräterisch! Er zweifelte an seinem Verstand, dass er sich von einer Weihe derart aus der Fassung bringen ließ. Es war sicher nur ein brauner Greifvogel, nicht mehr. Die Angst, in einer bedrohlichen Lage erneut in einen Blutrausch zu fallen, hatte ihn dünnhäutig gemacht.
Als er mit seinen Gefährten den Schutz des Waldes erreichte, fiel ihm das Atmen wieder leichter. Unter dem Blätterdach der Eichen, Buchen, Ahornbäume, Eschen und Platanen waren sie für Himmelsspione unsichtbar. Tarin, der sich bei der Flucht aus Saint-Amand an die Spitze gesetzt hatte, ließ seinen Rappen in den Schritt fallen und wartete, bis die beiden anderen zu ihm aufschlossen.
»Laut Karte ist dieser Forst groß genug, um sich wochenlang darin zu verstecken. Ich bin dafür, wir schlagen hier unser Nachtlager auf. Im ersten Morgengrauen reiten wir weiter. Irgendwelche Einwände?«
Arian und Mira schüttelten die Köpfe. Der Deutsche hatte sie mit dem taktischen Gespür eines preußischen Feldmarschalls und der Dreistigkeit eines Vogelfreien von Calais aus bis hierhergeführt.
Auf einem Weg aus weicher, schwarzbrauner Erde ritten sie im Schritt noch ungefähr eine halbe Stunde weiter. Dann suchten sie sich etwas abseits einen hinreichend trockenen Platz. Während Arian und Mira unter einer alten Eiche das Lager für die Nacht herrichteten, sattelte Tarin die Pferde ab. Es war ein lauer Abend, erfüllt vom Gesang der Vögel und von der heraufziehenden Dunkelheit – im Wald verblasste das Tageslicht schneller als draußen auf den Feldern.
»Die Luft duftet wie Parfum«, schwärmte Mira. Sie hatte gerade ihre Pferdedecke auseinandergefaltet und breitete sie schwungvoll auf dem laubbedeckten Boden aus.
Arian reichte ihr die Reisetasche, die sie in den Nächten zuvor als Kopfkissen benutzt hatte. »Wenn man wie wir in einer großen Stadt wohnt, ist das kein Kunststück. Als ich das letzte Mal in Paris gewesen bin, war der Mief dort mindestens so ekelhaft wie der in London.«
»So ist es immer noch. Auf dem Marché des Innocents, dem Markt in Les Halles, kannst du Brot kaufen, das nach Pinkel stinkt. Da schütten die Bürger ihre Nachttöpfe über den Mehlsäcken aus. Widerlich!«
»Im Gegensatz zu dir.« Arian schnappte nach Luft. Habe ich das eben tatsächlich gesagt?
»Was?« Mira blickte überrascht von ihrem Lager auf.
»Ich finde, du riechst, äh …« – er räusperte sich – »ziemlich gut.« Er fing an, Eicheln vom Boden aufzuklauben.
Sie verzog das Gesicht. »Was redest du für einen Unsinn. Wir haben uns seit London nicht mehr richtig gewaschen und stinken wie die Straßenköter.«
»Trotzdem duftest du wie eine Blume.« Arian hatte eine Handvoll aufgesammelt und begann damit zu jonglieren.
Mira lachte hell wie ein Singvogel, während sie die letzten Falten aus der Schlafunterlage strich. »Das ist nur Kölnisch Wasser. Meinst du, ich habe zu viel benutzt?«
»Nein. In der Kutsche … Als wir nach Dover gefahren sind und … und du meine Hand gehalten hast und …« Arian schluckte. Sämtliche Eicheln fielen zu Boden. Er hatte das Gefühl, sein Gesicht glühe wie ein Stück Kohle.
Mira richtete sich auf und sah ihn fragend an. »Und?«
»Und du deinen Kopf an meine Schulter gelehnt hattest, … Da habe ich unentwegt deinen Duft eingeatmet und …« Er holte tief Luft. »Es hat mir gefallen.«
Sie blickte verlegen auf ihre Hände und zupfte an den Fingern herum. Ihre Stimme wurde sanft und leise. »Arian? Ich wollte dich etwas fragen.«
Er sah sie überrascht an. »Ja?«
»Am Strand bei Calais, als die Kugel mich hingeworfen hatte und du zu mir kamst, um … Ich hörte, wie du sagtest, es täte dir leid. Du hattest Tränen im Gesicht. Hast du da um … mich geweint?«
Nun wurde ihm erst richtig heiß. Er setzte zu einer Antwort an, aber es kam nur ein heiseres Krächzen heraus. Schüchtern senkte er
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