Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
nicht länger als drei Minuten. Als Bossi den Stift ablegte, sah er Tron entsetzt an. «Das ist das Protokoll des kaiserlichen Besuchs für den Donnerstag. Mit genauen Zeitangaben. Das Protokoll, das offiziell erst heute Mittag bekannt gegeben wird.»
    Tron nickte. «Der Kreis derjenigen, die das genaue Protokoll bereits am Montag hatten, ist klein. Und der Mörder war einer davon.»
    Bossi schluckte. «Soll das etwa heißen, dass wir in der unmittelbaren Umgebung des Kaisers einen Verräter haben?»
    «Oder mehrere. Jedenfalls wissen wir jetzt, dass sich der Kaiser am Donnerstag nur zweimal im Freien aufhält. Einmal auf dem Weg vom Palazzo Reale in die Basilika. Dann nach der Messe, wenn er seine Ansprache auf der Piazza hält. Da der Attentäter es vorziehen wird, auf ein unbewegliches Ziel zu feuern, wird er den Kaiser vermutlich ins Visier nehmen, wenn er seine Ansprache hält.»
    «Und von wo aus?»
    «Unter der Voraussetzung, dass er aus ungefähr hundert Metern feuert, dürfte er nicht sehr viele Möglichkeiten haben», sagte Tron.
    «Sie dachten an die Dächer?»
    Tron nickte. «Es kommen die alten Prokuratien, der  Campanile, der Uhrenturm, der Palazzo Reale und die  Marciana in Frage. Der Campanile und der Glockenturm werden von Soldaten besetzt sein. Und die Dachluken der alten Prokuratien wird man wie beim letzten Mal vernageln. Folglich bleiben nur noch die Marciana und der Palazzo Reale.»
    Bossi war bleich geworden. «Und was machen wir jetzt?»
    «Wir reden mit Spaur», sagte Tron. «Der soll sofort zu Toggenburg gehen.»
    «Kann man Toggenburg vertrauen?»
    «Ich glaube nicht, dass er von dem Anschlag weiß. Vermutlich wird er sich an den Generaladjutanten des Kaisers wenden, an Feldzeugmeister Crenneville.»
    Bossi sprach das aus, was Tron durch den Kopf ging. «Und wenn dieser Crenneville zu den Verschwörern gehört?»
    «Dann haben wir ein Problem», sagte Tron.

46
    Das Kontor der Principessa im Untergeschoss des Palazzo Balbi-Valier wirkte auf Tron immer so, als hätte ein Theaterdekorateur es für sie eingerichtet: Da war der riesenhafte Schreibtisch, der dicht an ihn herangeschobene Aktenwagen, die in Schweinsleder gebundenen Rechnungsbücher auf den Regalen und außerdem noch der wuchtige, feuerfeste Tresor. Alles das – speziell eine Weltkarte an der Wand hinter dem Schreibtisch, auf der die geschäftlichen Kontakte der Principessa mit roten Fähnchen markiert waren, ließ an üppige Goldströme denken, die hier aus allen Himmelsrichtungen zusammenflossen, im Tresor zwischengelagert und wieder investiert wurden.
    Die Prinzipalin selbst, eine gestrenge Herrin, die ihre Haare im Kontor gerne zu einem Dutt verknüpfte, thronte auf einem herrschaftlichen Sessel. Sie rauchte, wobei sie sich seit kurzem einer eleganten schwarzen Zigarettenspitze bediente – die neueste Pariser Mode. Zwei blonde Strähnen, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten, kräuselten sich anmutig über der Schläfe und verliehen ihrer Erscheinung einen unbeabsichtigten Einschlag ins Laszive. Da der Besucherstuhl, auf dem Tron saß, verkürzte Beine hatte, war er gezwungen, zur Principessa aufzublicken. Ein Gespräch in diesem Büro, dachte Tron amüsiert, erforderte ein robustes Selbstbewusstsein des Besuchers. Er hatte gerade zwanzig Minuten zu der Principessa emporgeredet.
    Die sah Tron jetzt fragend an. «Spaur und Toggenburg sind zusammen bei Crenneville gewesen? Die beiden können sich doch nicht ausstehen.»
    Tron nickte. «Toggenburg hat ausdrücklich darauf bestanden, Spaur mit in den Palazzo Reale zu nehmen. Spaur vermutet, um ihm deutlich zu machen, dass er, Toggenburg, mit der Angelegenheit nichts zu tun hat.»
    «Wie hat Crenneville reagiert, als er hörte, dass jemand aus der unmittelbaren Umgebung des Kaisers in einen Anschlag verwickelt ist? Und dass ihr sogar Zeitpunkt und Ort des Anschlags mit großer Wahrscheinlichkeit voraussagen könnt?»
    «Spaur sagt, Crenneville habe sich lobend über die Effizienz der venezianischen Polizei geäußert. Ansonsten sei er über die Lage bereits vollständig im Bild gewesen.»
    «Bereits vollständig im Bild?» Die Principessa blies einen Rauchring über den Tisch. «Das verstehe ich nicht.»
    «Crenneville behauptet, der militärische Geheimdienst habe bereits vor sechs Wochen entdeckt, dass eine venezianische Gruppe einen Anschlag auf den Kaiser vorbereitet.
    Worauf sie einen Agenten in die Gruppe geschleust haben, um so viel wie möglich über die Leute zu

Weitere Kostenlose Bücher