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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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eingehen.»

47
    Der Cognac war genauso wässrig wie bei seinem letzten Besuch in der Trattoria am Campo San Polo, der Fußboden ebenso schmutzig, der Kaffee ebenso kalt. Auch der kränkelnde Einheimische saß wieder (oder noch immer?) am selben Tisch und löffelte wieder (oder noch immer?) sein sguasetto. Und hatte nicht auch der Wirt denselben furchteinflößenden Gesichtsausdruck wie bei seinem letzten Besuch? Gab es Orte, fragte sich Oberst Hölzl, magische Orte, an denen die Zeit nicht hektisch voranschritt, sondern sich nur gemächlich im Kreis bewegte? Oder gar stillstand? Und niemandes Nerven übermäßig strapazierte? Eine Vorstellung, die er nach den Ereignissen der letzten Tage – speziell des heutigen Nachmittags – außerordentlich angenehm fand. Oberst Hölzl lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und stieß einen tiefen, nachdenklichen Seufzer aus. Wer weiß?
    Vielleicht war der Einheimische am Nachbartisch ja glücklich. Vielleicht sollte er, dachte Oberst Hölzl, auch jeden Tag pünktlich um sechs Uhr ein sguasetto löffeln, anstatt einen fiktiven Anschlag auf den Allerhöchsten zu organisieren.
    Seine Unterredung mit Feldzeugmeister Crenneville  heute Nachmittag war jedenfalls nicht besonders erfreulich verlaufen. Commissario Tron knapp dem Tode entronnen!
    Ort und Zeitpunkt des Anschlags von der venezianischen Polizei entdeckt! Und hätte er, Crenneville, nicht im Gespräch mit Toggenburg und dem Polizeipräsidenten Baron Spaur geistesgegenwärtig eine geniale Erklärung für alles ersonnen, dann … Der Feldzeugmeister hatte diesen Satz nicht zu Ende gesprochen. Doch seine drohende Miene  hatte das Schlimmste befürchten lassen – für die Laufbahn seines Untergebenen und für die Zukunft der Donaumonarchie.
    Genau wie beim letzten Mal erschien Boldù zehn Minuten zu spät. In der Hand trug er einen flachen Koffer, wie Künstler ihn benutzen – er enthielt das Gewehr, und Oberst Hölzl würde ihn heute Nacht zu den Fledermäusen auf dem Dachboden der Marciana bringen.
    Nachdem der Wirt einen Kaffee serviert hatte, kam  Oberst Hölzl sofort zur Sache. «Davon, einen Commissario der venezianischen Polizei zu töten, ist nie die Rede gewesen.»
    Boldù zuckte die Achseln. «Ich hatte keine Wahl.»
    «Was ist passiert?»
    «Zorzi ist misstrauisch geworden», sagte Boldù. «Ich habe ihn in meiner Wohnung überrascht. Er hat mir auf den Kopf zugesagt, dass ich die Absicht hätte, einen Anschlag auf den Kaiser zu verüben.»
    «Woher wusste er das?»
    «Von Commissario Tron. Angeblich hat ihm ein Offizier einen Wink gegeben, dass irgendjemand einen Anschlag plant.»
    «Also haben Sie Zorzi getötet und anschließend auf die Patna gebracht.»
    Boldù nickte. «Und da Tron Bescheid wusste, musste ich ihn ebenfalls töten.» Boldù nippte an seinem Kaffee und verzog das Gesicht. Es war unklar, ob sich seine Miene auf den Kaffee oder auf Trons Tod bezog. «Ich habe Tron in Zorzis Namen auf die Patna bestellt», fuhr Boldù fort, «weil Zorzi behauptet hatte, dass er sich noch im Laufe der Nacht bei Tron melden würde. An Bord hatte ich eine Explosion vorbereitet.» Boldù sah Oberst Hölzl kalt an. «Wo ist das Problem? Der Sprengstoff ist vernichtet, der Kopf der Verschwörung ist auf der Patna verbrannt. Dass Tron sterben musste, war unvermeidlich.»
    «Das Problem liegt darin», sagte Oberst Hölzl langsam,  «dass Zorzis Leiche nicht auf der Patna verbrannt ist.»
    Boldù Kinn schnellte nach oben. «Wie bitte?»
    Oberst Hölzl sah mit einem gewissen Vergnügen, dass  Boldù bleich geworden war. «Die Leiche ist durch die Explosion ins Wasser geschleudert worden, und die Polizei hat sie heute Morgen vor der Redentore aus dem Giudecca-Kanal gefischt. In seiner Tasche hatte Zorzi das Protokoll und eines der Projektile.» Oberst Hölzl lächelte freundlich.
    «Zorzi hatte Ihre Wohnung durchsucht und das Protokoll und die scharfe Munition gefunden, die Sie auf dem Dachboden zurücklassen sollten. Er hat das Protokoll entziffert und seine Schlüsse gezogen. Und Ihnen dann erzählt, dass Tron ebenfalls Bescheid wisse und er, Zorzi, Tron versprochen habe, sich noch im Laufe der Nacht bei ihm zu melden.»
    «Also wusste Tron nicht Bescheid?»
    Oberst Hölzl schüttelte den Kopf. «Zorzi hat gelogen. Es kann keinen Offizier geben, der etwas gehört hat. Die Einzigen, die von dieser Operation wissen, sind der Kaiser, Crenneville und ich.» Oberst Hölzl machte eine Pause, um dem, was er jetzt zu sagen

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