Die Masken von San Marco
hatte sich sein Puls wieder beruhigt. Dann denken Sie sich etwas aus. Natürlich würde er sich nichts ausdenken. Die ganze Angelegenheit war ohnehin schon heikel genug, und den Commissario in das Geschehen einzubeziehen würde sie noch heikler machen. Außerdem: Was sollte er dem Commissario denn sagen? Wir haben ein fiktives Attentat auf den Kaiser vorbereitet, Commissario, und es wäre schön, wenn der Attentäter anschließend nicht redet. Vielleicht könnten Sie ihn für uns – piff-paff – tot-schießen? Nein – so ging das nicht. Commissario Tron würde sich selbstverständlich weigern. Der ganze Plan war albern. Crenneville atmete tief durch und beschloss, das zu tun, was in dieser Situation am vernünftigsten war. Nämlich den kaiserlichen Vorschlag zu vergessen.
50
Elisabeth öffnete die Augen und sah, was sie jedes Mal im Spiegel sah, wenn sie frisiert wurde: ihr von dunkelblonden Haarfluten umrahmtes Gesicht, losgelöst vom Rest der Welt durch einen Umhang, der ebenso weiß war wie die Decke ihres Frisiertischs und der Kittel ihrer Frisierkünstlerin. Die hatte die kaiserliche Mähne eine Stunde lang gekämmt und war jetzt damit beschäftigt, das Haar provisorisch zusammenzustecken. Fanny Angerer – dem Hoftheater abgeworben – schlug sich mit zweitausend Gulden jährlich auf der Zivilliste nieder, was dem Gehalt eines Universitätsprofessors entsprach, wie Franz Joseph gerne betonte, wenn er nicht gerade über die Kosten für ihre Pferde, Reisen und Garderobe dozierte.
Darauf, dass der Glanz ihrer äußeren Erscheinung auch auf ihn, den Kaiser, abstrahlte, hätte sie ihn gestern Abend hinweisen können. Als sie an seinem Arm die kaiserliche Loge im Fenice betreten hatte, war zuerst ein Raunen durch den Zuschauerraum gegangen, das sich dann zu einem wahren Begeisterungssturm gesteigert hatte, und für sie bestand wenig Zweifel daran, dass er ihr und dem Traum von einem Kleid gegolten hatte, das sie trug – einem sensationellen Frou-Frou aus gelblicher Seide mit langer Schleppe, Ärmeln im Renaissancestil und üppigen Spitzenvolants an Dekolleté und Ärmelsäumen. Gestern im Fenice war der Kaiser zum ersten Mal heiter und gelöst gewesen, frei von der Unruhe, die ihn seit ihrer Ankunft in Venedig umwittert und die er ihr gegenüber immer abgestritten hatte – und sich vermutlich auch selbst nicht eingestand.
Rückblickend musste Elisabeth allerdings zugeben, dass seine Nervosität nicht unbegründet gewesen war. Tatsächlich hatte die venezianische Polizei ein Bombenlegernest auf einem Schiff ausgehoben, und es hatte eine Explosion gegeben, bei der Commissario Tron fast ums Leben gekommen war – peinlich für den militärischen Geheimdienst, dem dieses Komplott offenbar entgangen war, und ehren voll für die venezianische Polizei. Und es war, dachte Elisabeth, eine schöne Geste des Kaisers gewesen, den Commissario auf den morgigen Ball einzuladen. Sie freute sich darauf, ihm wiederzubegegnen und auch bei dieser Gelegenheit seine Verlobte kennenzulernen, eine Principessa di Montalcino, von deren Schönheit und Geschäftssinn man sich wahre Wunderdinge erzählte.
Merkwürdig war nur, dass die Anspannung, die dem Kaiser zugesetzt hatte, nach Aufdeckung des Mordkomplotts nicht von ihm gewichen war. Noch immer ging eine unübersehbare Nervosität von ihm aus, so als würde ihm irgendetwas Gefährliches noch bevorstehen. Aber um was konnte es sich handeln? Der Kaiser hatte auf alle ihre Anfragen ausweichend geantwortet.
Und vielleicht lag es ja an dieser unbekannten Gefahr, dass all ihre Versuche, den Palazzo Reale unbemerkt zu verlassen, bisher kläglich gescheitert waren. Die Königseggs schienen in diesem Punkt spezielle Anweisungen empfangen zu haben, denn als sie dem Oberhofmeister gegenüber den Wunsch geäußert hatte, sich inkognito ins Café Florian zu begeben, war er hart geblieben, und auch seine Gattin hatte sich diesmal standhaft geweigert, sich in, wie sie sagte, dubiose Ausflüge verwickeln zu lassen. Das war eine der Kaiserin gegenüber völlig unangemessene Ausdrucksweise, aber Elisabeth hatte rücksichtsvoll verzichtet, da die Königsegg in neuen Hader mit ihrem Gatten verstrickt war, der sie schweren nervlichen Belastungen aussetzte. Anlass war diesmal keine amouröse Eskapade des Grafen, sondern der Erwerb eines schwarz-weiß gefleckten Welpen, mit dem Königsegg vor zwei Tagen aufgetaucht war. Bei dem Tier handelte es sich um einen niedlichen Pitbull, der auf den Namen
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