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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Palazzo Reale statt. Sie bestand aus einem bewundernden Blick auf Trons Uniform, dem ein militärischer Gruß und ein devotes Beiseitetreten folgte. Die zweite Kontrolle erfolgte im Vestibül des Palazzo Reale und oblag einem Kapitän der Trabantenleibgarde – er trug eine dunkelgrüne Uniformjacke mit scharlachroten Aufschlägen, dazu eine weiße, hirschlederne Hose und musterte Trons wippende Straußenfeder mit einem Kennerblick. Als er den Passierschein mit der Unterschrift der Kaiserin sah, nahm er sofort Haltung an und schlug die Hacken zusammen.
    Am Fuß der großen Treppe, die in den Ballsaal führte, wandte sich Tron nach links. Er durchquerte ein zweites Vestibül, in dem ein paar Offiziere rauchend zusammenstanden, und gelangte von dort in den langen Flur, an dessen Ende die Wendeltreppe zum Dachboden lag. Da sich die Kaiserin und der Kaiser mit ihrem Gefolge im Markusdom befanden, hatte Tron erwartet, einen nur mäßig belebten Palazzo Reale vorzufinden. Tatsächlich aber kamen ihm ganze Heerscharen von Lakaien entgegen, Ordonnanzen liefen an ihm vorbei, ein Feldkurat begegnete ihm, und auch auf der Wendeltreppe musste er zweimal einer Zofe ausweichen, die einen Wäschekorb nach unten trug.

    Tron betrat den Dachboden des Palazzo Reale kurz nach drei Uhr nachmittags. Die Tür am Ende der Wendeltreppe war nicht verschlossen, und er hatte sich keine Mühe gegeben, sie leise zu öffnen. Der Mann durfte ihn ruhig hören.
    Er sollte ihn sogar hören. Tron zog die Tür hinter sich ins Schloss und blieb einen Moment stehen, um seine Augen an das Dämmerlicht auf dem Dachboden zu gewöhnen.
    Wie lange war es her, dass sie wegen des verschwundenen silbernen Bestecks im Palazzo Reale ermittelt hatten? Fünf Jahre? Sechs Jahre? Jedenfalls hatte Tron einen großen, ungeteilten Raum in Erinnerung gehabt, aber jetzt sah er, dass der Dachboden in einzelne Bretterkabinen abgetrennt war.
    In einer standen zwei Stühle, in einer anderen eine Kommode und eine Schneiderpuppe. Alle anderen Kabinen waren leer. Das Licht kam aus zwei schrägen Dachluken, und da die Luft von winzigen Staubpartikeln erfüllt war, fiel ein schartiges Lichtband auf die groben Holzdielen herab.
    Gab es die Fledermäuse noch? Als Tron den Kopf hob,  konnte er sie erkennen. Sie hingen, die kleinen Köpfe nach unten, dicht zusammengedrängt an den Dachsparren, und Tron musste unwillkürlich an Bossi denken. Er würde ihm nie glauben, dass sich diese Tiere von Insekten ernährten und nicht vom Blut der Menschen.
    Er wandte sich nach rechts und blieb am Ende des Ganges zwischen den hölzernen Verschlägen stehen. Hier war das Licht am schwächsten, und es dauerte ein paar Sekunden, bis Tron entdeckte, wonach er suchte. Auf den ersten Blick Teil der bretterverkleideten Trennwand zwischen dem Dachboden des Palazzo Reale und der Marciana, war die schmale Tür tatsächlich kaum zu erkennen. Tron setzte seinen Fellhelm ab, ließ ihn zu Boden fallen und holte tief Atem. Dann drückte er vorsichtig gegen das Holz. Der Türflügel schwang knarrend auf, und ein Schritt über die Schwelle brachte ihn auf den Dachboden der Marciana.
    Hier war die Luft frischer, ein leichter Zug bewegte die Spinnweben an den Deckenbalken, und Tron sah sofort, woran es lag: Die Dachluke, eine von dreien des Bodenraums, war eine Handbreit geöffnet worden, und irgendjemand hatte ein Stück Holz unter den Rahmen geklemmt, um zu verhindern, dass sie wieder zufiel. Unter der Dachluke stand eine hölzerne Kiste, zwei Schritte davon entfernt sah Tron einen mächtigen Stützbalken, aus dem ein eiserner Ring ragte. In dem Augenblick, in dem er das Gewehr entdeckte – es lag vor der Kiste auf dem Boden –, sagte eine Stimme hinter ihm: «Nehmen Sie die Hände hoch und drehen Sie sich nicht um.»
    Die Stimme war nicht laut, aber sie klang scharf und bestimmt. Vor allem war ihr das unverkennbare Geräusch vorangegangen, mit dem der Hahn eines Revolvers gespannt wird. Tron hob automatisch die Arme. Dann trat jemand von hinten an ihn heran, schlug seine Uniformjacke hoch und nahm Trons Handschellen und Waffe an sich.
    «Gehen Sie bis zu dem Stützbalken weiter», sagte die Stimme. «Sie dürfen die Arme senken.»
    Tron folgte dem Befehl. Er spürte, wie sich die eine Handschelle um sein rechtes Handgelenk schloss. Die andere wurde an dem eisernen Ring des Dachbalkens befestigt.
    Schließlich sagte die Stimme: «Sie können sich jetzt umdrehen, Commissario.»

    Der Mann, der direkt unter der

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