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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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der professore nach der Kette griff und die Klappe öffnete. Er wurde plötzlich nervös. «Sind Sie sicher, dass die Kette dabei nicht beschädigt wird?»
    Königsegg hatte das Schmuckstück in einer Apotheke  wiegen lassen. Er hasste es, betrogen zu werden, und wollte nicht mehr als die vereinbarten zehn Prozent zahlen. Das Wichtigste war allerdings, dass er die Halskette heute Nacht unbeschädigt zurückbrachte.

    Der professore lächelte mild. «Ganz sicher, Signore.»
    Er legte die Halskette in den Zylinder, gab Quecksilber aus einem Apothekerglas dazu und schloss die Klappe. Von jetzt ab würde es fünf Minuten dauern. Die Wanduhr über dem Tisch stand auf sieben.
    Der professore regulierte die Flamme unter dem ersten Zylinder und trat einen Schritt zurück. Nachdem er eine Weile auf den Zylinder gestarrt hatte, sagte er: «Dieses Verfahren nennt sich ‹direkte Multiplikation›. Dabei schmiegt sich das Quecksilber um das Gold und nimmt einen Abdruck des Metalls in sich auf. Nicht der Form, sondern der Substanz. Das geschieht im ersten Zylinder.»
    Königsegg hatte kein Wort davon verstanden. «Und  wenn das Quecksilber die Form abgenommen hat?»
    «Dann wird der Abdruck durch die Röhren in den  zweiten Zylinder geleitet. Dort kommt es zur coagulatio des Abdrucks, zur Gerinnung.»
    Königsegg räusperte sich. «Und dann?»
    «Warten wir, bis sich das Gold abgekühlt hat, und wiegen es ab», erklärte der professore. «Es könnte sein, dass der Abdruck zu kleinen Körnchen geronnen ist.» Er lächelte.
    «Das dürfte die Entnahme meiner Kommission erleichtern.»
    Königsegg wusste, dass die Kette knapp fünfhundert  Gramm wog. Nach Abzug der zehn Prozent blieben ihm  vierhundertfünfzig Gramm reines Gold. Das war mehr als genug, um den Schuldschein im Casino auszulösen. Er sah auf die Uhr über dem Tisch. Noch zwei Minuten. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Gnade des Herrn hatte ihm einen Engel gesandt, und er hatte sich der Gnade würdig erwiesen, indem er kühn und entschlossen gehandelt hatte. Der Herr, dachte er, hilft denen, die sich selbst helfen.

    Er sah wieder auf die Wanduhr. Noch eine gute Minute.
    Dann würden sie das Gold wiegen, der professore würde seine Kommission abzweigen (Königsegg hatte beschlossen, es nicht allzu genau zu nehmen), und eine Viertelstunde später würde er die Wohnung verlassen haben. Ob er sich gleich zum Casino Molin begeben sollte, um den Schuldschein auszulösen? Es würde ohnehin zu riskant sein, sich vor Mitternacht in die Suite des Kaisers zu begeben. Und wenn er sich schon im Casino aufhielt – was sprach eigentlich dagegen, ein kleines Spielchen zu machen? Vielleicht sogar zwei? Königsegg schloss voller Vorfreude die Augen, und einen Moment lang glaubte er, das Geräusch zu hören, mit dem sich die Kugel im Kessel bewegte.
    Das Nächste, was er hörte, war, wie hinter seinem  Rücken die Wohnungstür aufgestoßen wurde, gefolgt von dem Trappeln schwerer Stiefel im Flur. Dann flog die Zimmertür auf, und zwei Polizisten stürmten in den Raum.
    Der eine war dick und klein, der andere dünn und groß.
    Beide trugen sie die blaue Uniform der venezianischen Polizei und hatten eine Pistole in der Hand. Die Waffe des dicken Polizisten zeigte auf ihn. Die des dünnen Polizisten auf den professore.

    Ein paar tröstliche Sekunden lang brachte Königsegg es fertig, sich der Illusion hinzugeben, er wäre kurz eingenickt und dies alles nichts als ein besonders perfider Albtraum.
    Doch dann rief der dünne Polizist etwas in scharfem Ton auf veneziano, was Königsegg nicht verstand. Der Lauf seines Revolvers zuckte nach oben, und Königsegg nahm automatisch die Hände hoch. Aus den Augenwinkeln registrierte er, wie der professore ebenfalls die Hände hob.
    Die beiden Polizisten traten einen Schritt näher, und Königsegg sah, dass der dicke Polizist ein offenes, freundliches Gesicht hatte, der dünne ein finsteres, raubvogelähnliches. Sie schienen es mit den Adjustierungsvorschriften nicht besonders genau zu nehmen, an beiden Uniformen fehlte der diagonal über die Jacke laufende weiße Riemen.
    Aber Königsegg hielt es für unangebracht, sie unter den momentanen Umständen darauf hinzuweisen.
    Der professore sagte etwas mit lauter, empörter Stimme, worauf der dünne Polizist mit ebenso lauter Stimme antwortete. Wieder redeten sie veneziano, und wieder verstand Königsegg kein Wort. Der Wortwechsel endete damit, dass der dünne Polizist den professore unsanft an

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