Die Masken von San Marco
Problem dabei», fuhr die Principessa fort. «Die Zahlen sind zu gut.» Sie zündete sich eine Ziga rette an, inhalierte und blies den Rauch über das Tischchen. «Je mehr wir verkaufen, desto größer wird der Druck der böhmischen Produzenten. Wir müssen uns also etwas einfallen lassen.»
«Wie meinst du das?»
«Perfekt wäre», sagte die Principessa, «wenn der Kaiserin ein Malheur zustoßen würde.» Sie nahm Tron mit ihren grünen Augen scharf ins Visier. «Eine kleine Verwicklung, die sich dann mit deiner Hilfe in Wohlgefallen auflöst.»
Himmel, das klang fast so, als würde die Principessa von ihm erwarten, dass er die Verwicklung, die er auflösen sollte, vorher arrangiert hatte. Tron hielt es für klüger, nicht darauf einzugehen. Er sagte: «Du meinst, ich könnte bei dieser Gelegenheit die Schutzzölle zur Sprache bringen?»
Die Principessa nickte frostig.
«Die Kaiserin und der Kaiser sind nur vier Tage in Venedig», sagte Tron. «Es wird ein straffes Protokoll geben.
Da bleibt kein Raum für Malheurs. Abgesehen davon überschätzt du vermutlich Elisabeths Einfluss auf den Kaiser.»
«Nicht, wenn stimmt, was ich aus Wien höre.» Die Principessa setzte ein überlegenes Lächeln auf.
«Und was hörst du aus Wien?»
«Dass die Kaiserin sich massiv in die Politik einmischt», antwortete sie. «Und dass Franz Joseph immer öfter auf sie hört. Die nationalen Bewegungen in der Monarchie werden täglich stärker, und der Kaiser hat kein Rezept dafür.»
«Und was wäre das Rezept der Kaiserin?»
«Die Zügel zu lockern und Entgegenkommen zu signali sieren», erklärte die Principessa. «Was der Hofkamarilla und der Erzherzogin Sophie natürlich nicht passt.»
«Woher weißt du das alles?»
«Von Hyazinth von Ronay, der unsere Firma in Wien vertritt. Er ist gut mit Ida Ferenczy bekannt, der Vorleserin von Elisabeth.»
«Meinst du, es hat politische Gründe, wenn die Kaiserin den Kaiser auf dieser Reise begleitet?»
«Das wäre denkbar», sagte die Principessa. «Und wenn das so ist, wäre es gut für uns. Man könnte neue Schutzzölle als einen Affront gegenüber dem Veneto auslegen. Es geht nicht nur um wirtschaftliche Fragen, sondern auch um Politik.»
«Mit anderen Worten, an deinem Pressglas hängt die Zukunft des Habsburgerreiches», sagte Tron.
Die Principessa, der die Ironie entging, nickte ernsthaft.
«So könnte man es ausdrücken.»
«Ich frage mich, was die Kaiserin in Venedig vorhat.»
«Elisabeth muss nichts Bestimmtes vorhaben. Ihre bloße Anwesenheit reicht völlig aus. Im Gegensatz zu Franz Joseph kann sie Menschen für sich einnehmen. Das müsstest du doch am besten wissen.»
Tron, der an seine Begegnung mit der Kaiserin dachte, lächelte. «Allerdings. Aber darum geht es nicht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ihr Einfluss auf den Kaiser so groß ist, wie du es darstellst.»
«Das haben viele nicht gedacht, und sie haben sich alle getäuscht.» Die Principessa drückte ihre Zigarette aus und sah Tron an. «Möchtest du ein paar Details aus der Hofburg hören?»
«Details aus der Hofburg höre ich immer gerne.»
«Nun, es gab in diesem Sommer eine heftige Auseinan dersetzung zwischen Franz Joseph und Elisabeth.»
«Und worum ging es?»
«Um den Thronfolger, um Rudolf. Und um seinen Erzieher, den Grafen Leopold Gondrecourt. Ein übler Bur sche und ein Protegé der Erzherzogin Sophie.» Die Principessa hielt inne und machte eine Kunstpause. «Was würdest du von einem Erzieher halten, der seinen Zögling nachts mit Pistolenschüssen weckt und ihn im Bett mit kaltem Wasser übergießt?»
«Wie alt ist Rudolf?», erkundigte sich Tron. Er fragte sich, worauf die Principessa mit dieser Schilderung hinauswollte.
«Sechs», antwortete die Principessa.
«Ich würde den Mann für einen Sadisten halten.»
Die Principessa nickte. «So hat das Elisabeth auch gesehen. Sie hat dem Kaiser im Sommer einen geharnischten Brief geschrieben: entweder Gondrecourt oder sie.»
Tron runzelte die Stirn. «Elisabeth hätte den Kaiser verlassen, wenn der Kaiser auf Gondrecourt bestanden hätte?»
«Genau das.»
«Und?»
«Graf Gondrecourt musste seinen Hut nehmen. Rudolf hat jetzt einen Erzieher, den die Kaiserin selber bestimmt hat, einen Liberalen. Sehr zum Missvergnügen der Erzherzogin Sophie und der Hofkamarilla.»
Aha, das war die Pointe der Geschichte. Tron sagte:
«Mit anderen Worten, wenn Elisabeth von etwas überzeugt ist, lässt sie nicht locker. Die
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