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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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erkannte Königsegg auch, dass das zarte Zwitschern, das er vor der Tür zu hören geglaubt hatte, in Wahrheit ein zischendes Pfeifen war. Obwohl es kühl war, lag ein schwerer, säuerlicher Geruch über dem Raum. Unter einer von der Decke hängenden Petroleumlampe stand ein Hackklotz, auf dem kleine Fleischstücke lagen, denen zum Teil noch das Fell anhaftete. Daneben befand sich ein hölzerner Bottich, der bis zum Rand mit toten Ratten gefüllt war.

    «Ich bereite gerade das Futter zu», sagte Andreotti. Er lä chelte und entblößte ein paar spitze Schneidezähne.
    Königsegg hätte am liebsten wieder kehrtgemacht. «Sie handeln mit Ratten?»
    Andreotti nickte. «Die Nachfrage ist rege.»
    Einen Augenblick lang war Königsegg irritiert, dann hatte er begriffen. Ob dieses Fleisch nur in Würsten landete?
    Dort, wo am wenigsten auffiel, worum es sich in Wahrheit handelte? Oder gab es womöglich Trattorias, die das Fleisch dieser Tiere als – Geflügelfleisch auf den Tisch brachten?
    Oder Hotelrestaurants, die es kräftig gewürzt als ungarisches Gulasch servierten?
    Königseggs Blick fiel auf die zerkleinerten Ratten auf Andreottis Arbeitstisch. «Und Sie füttern diese Tiere mit dem Fleisch ihrer …» Er brach den Satz ab. Es war klar, was er meinte.
    «Sie fressen sich ohnehin gegenseitig auf, wenn sie Hunger haben», bestätigte Andreotti. Er zuckte gleichgültig mit den Achseln. «Viele Tiere werden dabei nur angefressen.
    Und verletzte Ratten kann ich nicht gebrauchen. Ich muss frische, gesunde Tiere liefern.» Er wischte sein Hackmesser an einem schmutzigen Lappen ab. «Aber Sie wollten mich eigentlich nach diesem Mieter fragen, der Sie betrogen hat.»
    «Was wissen Sie über ihn?»
    «Praktisch nichts», sagte Andreotti. «Er ist vor einem Monat eingezogen, und gestern war die Miete für den zweiten Monat fällig. Er scheint verschwunden zu sein. Ich habe einen Nachschlüssel, die Wohnung ist leer.»
    «Für wie lange hatte der Mann die Wohnung gemietet?»
    «Das kann ich Ihnen nicht sagen.» Andreotti bückte sich, zog eine tote Ratte aus dem Bottich und warf sie auf den Hackklotz. «Die Abmachung hat Signor Montalban getrof fen, der Eigentümer des Gebäudes. Ich kassiere nur die Mieten.» Andreottis Hackmesser sauste – rums! – auf die Ratte nieder und trennte ihr den Kopf ab.
    Königsegg hatte Schwierigkeiten, sich auf die Unterhaltung zu konzentrieren. «Und wo finde ich Signor Montalban?»
    «Er wohnt nicht in Venedig.» Ein zweiter Schlag mit  dem Hackmesser – zack! – trennte den Schwanz ab.
    Königsegg schluckte. «Wohin bringen Sie dann das  Geld?»
    «Wir treffen uns.» Ein dritter Schlag – rums! – zerteilte die Ratte in zwei Hälften. Königsegg schloss die Augen.
    «Könnte ich ihn auch treffen?»
    Als Königsegg seine Augen wieder aufschlug, steckte  sich Andreotti gerade etwas in den Mund. Dann sagte er kauend: «Er ist heute Abend in seinem Casino.»
    «Er betreibt ein Casino?»
    Andreotti, der immer noch geräuschvoll auf seinem Bissen kaute, nickte. «Das Casino ist in Castello.»
    Von einem Casino in Castello – dem Arme-Leute- Sestiere Venedigs – hatte Königsegg noch nie gehört.
    «Handelt es sich um ein Spielcasino?»
    Andreotti dachte einen Augenblick lang nach. Dann sagte er zögernd: «Ja, so könnte man es bezeichnen.»
    «Was wird in diesem Casino gespielt?»
    «Es wird gewettet », entgegnete Andreotti. «Eine Art Hunderennen, für das man nicht sehr viel Platz braucht. Allerdings sind die Rennen nicht öffentlich. Die Teilnehmer ziehen es vor, unter sich zu sein. Solch spezielle Wetten werden von der Obrigkeit nicht gerne gesehen.» Er sah Königsegg unschlüssig an. «Am Campo della Brágora befindet sich eine Trattoria. Fragen Sie den Wirt nach Jacko. Das ist das Passwort. Es wird Sie dann jemand in das Casino bringen.»
    «Wer ist dieser … Jacko?»
    «Ein schwarz-weiß gefleckter Bullterrier», sagte Andreotti. Er bückte sich und zog eine weitere tote Ratte aus dem Bottich. «Er war der schnellste Hund der Welt. Kommen Sie gegen zehn und fragen Sie nach dem Patron.»
    Signor Andreottis Hackmesser sauste auf die Ratte herab und trennte ihr – rums! – den Kopf ab.

20
    Adressen in Venedig waren fast immer ein Witz. Das hatte Boldù schon vor langer Zeit festgestellt. In der Regel lauteten sie: Campiello San Anselmo, neben der farmacia, oder auch: Salizzada San Cristoforo, dritte Tür hinter dem Marienschrein. Doch begab man sich dahin, stellte sich meist

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