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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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lagen, würde sich Ziani kaum beschweren.
    Boldù ließ die Kette in die Tasche seines Gehrocks gleiten, löschte die Petroleumlampe und verließ die Wohnung, ohne abzuschließen. Zwei Minuten später überquerte er mit ruhigen Schritten den Campo Maurizio und verschwand in der Calle Zaguri – ein gutgekleideter Herr mittleren Alters auf dem Weg zur Piazza San Marco, um dort, vielleicht im Quadri, ein spätes Abendessen einzunehmen.

21
    Eberhard von Königsegg stand im Vorraum der großen  Lagerhalle am Rand des Arsenals, zu der ihn ein junger Bursche vom Campo San Brágora gebracht hatte, und fragte sich, warum er immer noch nicht den Mut gefunden hatte, sich seinen Dienstrevolver an die Schläfe zu setzen und abzudrücken. Pffft! Ex! Morte! Sein Blick fiel auf zwei muskelbepackte Hunde, die ein untersetzter, schlechtgekleideter Mann an der Leine hielt. Ob sie auch ins Rennen gehen würden? Sie sahen nicht besonders schnittig aus und wirkten, passend zum Herrchen, eher wie zwei rauflustige Straßenköter. Jedenfalls schien es sich bei dem Rennen um eine gutbesuchte Veranstaltung zu handeln. Durch die angelehnte Tür, die in die große Halle führte, waren Stimmengewirr und Gelächter zu hören. Der Geruch von gegrilltem Fleisch drang verlockend in den Vorraum.
    Königsegg drehte sich erschrocken um, als ihm plötzlich jemand auf die Schulter tippte. Es war Andreotti, der vor ihm stand. Er trug zu einem braunen Gehrock eine weiße Schürze, was ihn wie den Betreiber eines gehobenen Feinkostladens aussehen ließ – guten Appetit! Königsegg zuckte unwillkürlich zusammen. Einen kurzen Augenblick schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass Andreotti auf dieser Veranstaltung einen Imbiss – eine Wurstbraterei! – betrieb, und ihm wurde übel, was allerdings auch an den diversen Cognacs liegen konnte, die er sich noch im Palazzo Reale als Vorbereitung auf das ominöse Hunderennen genehmigt hatte.
    «Der Patron ist noch nicht da», sagte Andreotti, ohne sich lange mit einer Begrüßung aufzuhalten. «Sie müssen ein wenig warten, aber Sie werden sich nicht langweilen.»

    Königsegg zeigte auf die beiden Hunde, die sich jetzt zu Füßen ihres Herrchens hingelegt hatten. «Sind das Hunde, die heute an den Start gehen?»
    Andreotti nickte. «Vermutlich.»
    «Sie sehen nicht besonders schnell aus.»
    «Sind sie aber», sagte Andreotti.
    «Was für ein Rennen ist das?»
    Andreotti sah ihn ungläubig an. «Wissen Sie es immer noch nicht?»
    Königsegg schüttelte den Kopf.
    «Das sind keine Rennhunde», sagte Andreotti und zeigte auf die Tiere.
    «Sondern?»
    Andreotti machte kein Hehl daraus, dass er sich amüsierte. «Das sind Kampfhunde.»
    Königsegg brauchte fünf Minuten, bis er Andreottis Erklärungen begriffen hatte. Dabei war alles ganz einfach und ziemlich offensichtlich. Er hätte lediglich die richtigen Schlüsse aus den beiden Hunden ziehen müssen, die immer noch zu Füßen ihres Besitzers lagen und nicht die geringste Ähnlichkeit mit Windhunden hatten.
    Andreotti ergriff seinen Arm. «Kommen Sie?»
    Königsegg folgte Andreotti und fand sich in einer gro ßen quadratischen Halle wieder, bei der es sich offenbar um ein ehemaliges Lager handelte. Der Raum hatte einen von geschwärzten Balken getragenen Dachstuhl, die Wände bestanden aus unverputzten Backsteinen. Königsegg schätzte, dass sich mindestens hundert Personen in der Halle versammelt hatten, meist einfaches Volk, aber auch Herren in Gehröcken und eleganter Abendgarderobe, dazu auffällig viele Engländer in karierten Reiseanzügen. Auch ein paar kaiserliche Offiziere hatten sich eingefunden. Königsegg sah  zwei Herren in der Uniform der Innsbrucker Kaiserjäger und drei Leutnants der kroatischen Jäger, die auf der anderen Seite des Raumes vor dem Ausschank standen. Erleichtert stellte er fest, dass er keinen von ihnen kannte. Der Boden der Halle war mit schmutzigen Sägespänen bestreut, und dichter Tabakrauch hing über der Versammlung. Praktisch jeder der Anwesenden rauchte und hielt ein Glas Bier in der Hand. Aus einer offenstehenden Tür neben dem Ausschank drang unablässig Hundegebell.
    Und jetzt entdeckte Königsegg auch die hüfthohe  Holzwand inmitten der Menge. Als er näher trat, sah er, dass es sich bei der Arena um ein aus Holz gefertigtes Oval handelte, dessen Grundfläche ebenfalls mit Sägemehl bestreut war. Unmittelbar hinter der Arena hatte man zwei Stühle auf ein Podest gestellt. Auf einem Stuhl lag eine gro ße

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