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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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verheimlicht.»

    «Vielleicht ist das, was auf diesem Weg nach Venedig gebracht worden ist, wieder aus dem Sarg entfernt worden?»
    Tron zuckte die Achseln. «Ich würde das nicht ausschließen. Auf jeden Fall ist es eine ziemlich raffinierte Methode, etwas nach Venedig zu schmuggeln. Versiegelt und zusätzlich getarnt als Choleraleiche.»
    «Meinen Sie, wir sollten noch einmal mit Pater Silvestro sprechen?»
    Tron schüttelte den Kopf. «Wir sollten eine Exhumie rung beantragen.»
    «Weil wir vermuten, dass der Tote einem Verbrechen  zum Opfer gefallen ist? Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt.»
    «Aber es gibt Anhaltspunkte dafür, dass etwas mit dem Sarg nicht stimmt», sagte Tron. «Das dürfte als Begründung ausreichen. Ich werde einen Antrag an die entsprechende Hofstelle im Wiener Innenministerium richten. Die wendet sich dann an den Patriarchen von Venedig. Spaur wird den Antrag unterschreiben, wenn ich ihn darum bitte.»
    «Und dann?»
    «Wird geprüft», sagte Tron. «Der Patriarch wird Rückfragen haben, die das Innenministerium an uns weiterleitet.»
    «Es zieht sich also hin.»
    «Die Kirche ist sehr empfindlich, was ihre Rechte angeht. Und sie ist ein wichtiger Verbündeter Österreichs. Da hütet man sich davor, sie zu verstimmen.»
    «Es ist also mit einer Entscheidung in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.»
    «Erfahrungsgemäß nicht.»
    Bossi machte ein harmloses Gesicht. «Wer wohnt eigentlich auf San Michele?» Er schnippte ein unsichtbares Stäubchen vom Ärmel seiner Uniformjacke. «Ich meine, außer Pater Silvestro?»

    «Ich weiß es nicht. Vielleicht noch seine Haushälterin, ein Küster und ein paar Gärtner.»
    «Vermutlich in den Nebengebäuden der Kirche.»
    Tron nickte. «Vermutlich.»
    «Also nicht gerade in der Nähe des Grabes», sagte Bossi nachdenklich. «Das Grab ist gegenüber den Fondamenta Nuove. Auf der anderen Seite von San Michele.»
    Tron brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, worauf Bossi hinauswollte. «Sie meinen …»
    Bossi nickte stumm.
    «Ist Ihnen klar, was passiert, wenn man uns erwischt?»
    «Man wird uns nicht erwischen», sagte Bossi gelassen.
    «Jedenfalls nicht, wenn wir spät in der Nacht kommen. Ich könnte uns einen sandalo besorgen.»
    «Sie sind verrückt, Bossi. Wenn es sich tatsächlich um eine Choleraleiche handelt, können wir uns anstecken und eine Epidemie auslösen. Und ein verlöteter und versiegelter Zinksarg lässt sich nicht so ohne weiteres öffnen.»
    «Dann nehmen wir den Sarg mit.»
    Tron musste lachen. «In einem sandalo, einem Boot, das schon für zwei Personen fast zu klein ist?»
    «Der Sarg dürfte schwimmen», sagte Bossi ungerührt.
    «Wir könnten ihn hinter uns herziehen. Wie eine längliche Boje.»
    «Und dann? Wohin bringen wir ihn? In die Questura?
    Zu mir in den Palazzo Tron? In den Palazzo Balbi-Valier?
    Oder zu Ihnen nach Hause?» Tron schüttelte energisch den Kopf. «Nein, Bossi, das geht nicht.»
    Bossi dachte kurz nach. «Es ist vielleicht gar nicht nötig, den Sarg mitzunehmen.»
    «Warum?»
    «Wenn Sie recht haben, und es befindet sich tatsächlich etwas anderes als eine Leiche in dem Sarg, dann wird man sich sehr beeilt haben, ihn auszuräumen. Und man wird ihn anschließend nicht wieder verlötet haben. Dafür hätte es keinen Grund gegeben – und keine Zeit.»
    Tron musste zugeben, dass sich das plausibel anhörte.
    «Sie meinen, wir müssten uns den Sarg nur ansehen, um entscheiden zu können, ob etwas mit ihm nicht stimmt?»
    Bossi nickte. «So ungefähr. Alles, was wir brauchen, ist ein kleiner Spaten und eine Blendlaterne. Wir könnten uns um halb zwölf an der Ponte dei Mendicanti treffen. Oder ich hole Sie ab, Commissario.»
    Also ein mitternächtlicher Besuch auf einem Friedhof, um zur Geisterstunde ein Grab zu öffnen – darauf lief es hinaus. Offensichtlich war ispettore Bossi jetzt zur Lektüre von Schauerromanen übergegangen. Andererseits hatte sein Vorschlag eine gewisse Logik. «Sie können mich um halb zwölf am Wassertor des Palazzo Tron abholen», sagte Tron lässig.
    Bossis Augen wurden groß und rund. «Ist das Ihr Ernst, Commissario?»
    «Selbstverständlich. Ich sorge für die Blendlaterne. Tragen Sie dunkle Kleidung.»
    «Dann bringe ich den Spaten mit.» Bossis Mund klappte auf.
    «Erster Spatenstich um Mitternacht.» Tron nickte lä chelnd. «Und machen Sie den Mund wieder zu, Bossi. Sie sehen aus wie ein Fisch im Aquarium.»

19
    Der Palazzo Soranzo war einer der unauffälligen

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