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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Signorina Violetta.
    Tron räusperte sich. «Und wo finde ich Signor Holenia?»
    «Wahrscheinlich in seiner Wohnung im Palazzo Moce nigo», antwortete Spaur. «Wir sind uns gestern auf der Piazza begegnet. Holenia nimmt heute Nacht die Prinzessin Gisela nach Triest.»
    Der Polizeipräsident erhob sich aus seinem Sessel, um zu signalisieren, dass die Unterredung beendet war. «Am besten, Sie gehen sofort bei ihm vorbei.» Dann fügte er noch hinzu, obwohl es sich von selbst verstand: «Und sehen Sie zu, dass sonst niemand von der Geschichte erfährt.»

    Als die Tür hinter Tron ins Schloss gefallen war, musste sich Spaur erst mal aus der böhmischen Kristallglaskaraffe, die ihm Signorina Violetta zu seinem Namenstag geschenkt hatte, einen Doppelten einschenken. Ein Attentat auf den Kaiser! Er konnte es einfach nicht glauben. Wo sich alle Welt darüber einig war, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch das Veneto an das neugegründete italienische Kö nigreich fiel. Würde ein Anschlag diese Entwicklung beschleunigen? Nein! Spaur schüttelte den Kopf. Er wäre ein gefundenes Fressen für Toggenburg und die Falken im Wiener Generalstab. Die würden regelrecht aufleben!
    Kriegsrecht! Ausgangssperre! Hausdurchsuchungen! Eine wunderbare Gelegenheit, die Zeit zurückzudrehen! Bei den Attentätern musste es sich um Verrückte handeln.
    Aber was sollte er jetzt Signorina Violetta sagen? Er hatte ihr die neue Lage, die sich aus dem Schreiben des Kaisers ergab, noch nicht erläutert. Wäre es nicht unter diesen dramatischen Umständen am besten, ein paar Tage zu warten? Vielleicht erledigte sich das Problem von selbst. Entweder der Anschlag gelang, oder sie schafften es, diese Leute rechtzeitig zu ergreifen. Was zweifellos besser wäre, denn anschließend würde ihm der Kaiser aus der Hand fressen.
    Doch wie wahrscheinlich war es, dass sie Erfolg hatten?

    Spaur stieß einen Seufzer aus. Nein – sehr wahrscheinlich war es nicht. Andererseits konnte man bei diesem Tron nie wissen.
    Er trat vor den Spiegel und stellte fest, dass die gedanklichen Anstrengungen der letzten Stunde sein Gesicht gerötet und tiefe Furchen in Stirn und Mundwinkel gezogen hatten. Spaur fand, er sah regelrecht durchgeistigt aus – wie ein Dichter oder ein Kunstmaler. Was hatte Signorina Violetta vor ein paar Tagen bemerkt? Richtig! Dass er einen ausgesprochenen Charakterkopf habe!
    Beim Ankleiden entschied er sich gegen Gehrock und  Zylinder und für eine Jacke aus weichem Wollstoff –  schließlich hatte er nicht die Absicht, die Questura aufzusuchen. Das Barett aus grünem Samt, schräg aufgesetzt, gab seinem Aussehen einen zusätzlichen Einschlag ins Künstlerische. Signorina Violetta würde zufrieden sein.

30
    In alten Zeiten, dachte Tron, als seine Familie noch hohe Ämter in der Stadt bekleidete, hätte ihn eine Gondel am Wassertor des Palazzo Mocenigo abgesetzt, und ein livrierter Diener hätte ihn empfangen, um ihn nach oben zu geleiten. Jetzt betrat er, den Anweisungen Spaurs folgend, den Palazzo durch die Seitenpforte und erreichte nach ein paar Schritten den Hof.
    Es war ein dunkles Geviert, umgeben von schadhaften  Mauern und übersponnen von einem dichten Netz von  Wäscheleinen, auf denen Hemden, Unterhosen und  Strümpfe hingen. In einer Ecke des Hofs türmte sich Abfall, in der anderen hatte man Kisten unordentlich übereinandergestapelt. Das einzige Lebewesen, das Tron sah, war eine Katze. Sie kam näher, rieb ihren Kopf zutraulich an seinem Hosenbein, und als er sich bückte, um sie zu streicheln, fiel ihm wieder ein, was sich vor mehr als dreihundert Jahren in diesen Mauern abgespielt hatte.
    Wo hatte man den Philosophen damals verhaftet? In  dem düsteren Hof, in dem er, Tron, jetzt stand? In dem Zimmer, das er im Palazzo Mocenigo bewohnte? Hatte er seine Verhaftung geahnt? Und hatte er gewusst, was ihm bevorstand? Tron konnte nie an diese unrühmliche Episode in der Geschichte seiner Heimatstadt denken, ohne dabei einen tiefen Groll auf Giovanni Mocenigo zu empfinden, der Giordano Bruno nach Venedig gelockt und dann an die Inquisition verraten hatte. Tron, ein lauer Katholik und mit dem natürlichen Drang der Venezianer zu Ketzereien ausgestattet, hatte Brunos Vorstellung eines lebendigen, beseelten Universums immer sympathisch gefunden. Und er hatte diesen mutigen Mann, der sein ganzes Leben auf der Flucht vor der Inquisition verbringen musste, immer bewundert.
    Ob Lord Byron, der eine Hausnummer weiter gewohnt 

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