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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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sein. Wir haben mit dem Fall nichts mehr zu tun.»

29
    Johann Baptist von Spaur stand am Fenster seiner Suite im Danieli und sah missmutig auf die Riva degli Schiavoni hinab. Das unerwartet schöne Wetter hatte ganze Heerscharen von Spaziergängern auf die Uferpromenade getrieben.
    Die Leute standen in kleinen Gruppen zusammen, kauften frittolini und geröstete Maronen bei fliegenden Händlern oder folgten der langen Reihe der an der Kaimauer festgemachten Segelschiffe bis zum Ponte dei Greci. Der Himmel war blau und wolkenlos, und auf der anderen Seite des Wassers zeichnete sich militärisch klar die Isola San Giorgio ab. Wie hieß nochmal dieser italienische Architekt, der die Kirche dort gebaut hatte? Palli… Palio… Palludino? Irgend so etwas in der Art. Nicht dass es darauf ankam, aber es machte sich immer gut, dachte Spaur, wenn man einen dieser italienischen Namen im Gespräch fallenlassen konnte.

    Normalerweise hätte ihn der Blick aus den Fenstern seiner Suite mit Freude erfüllt, doch heute musste er daran denken, dass in wenigen Tagen die kaiserliche Raddampferyacht Jupiter das Becken von San Marco durchqueren würde – begrüßt von zwei Dutzend Salutschüssen. Und dass er, Johann Baptist von Spaur, beim anschließenden Empfang gezwungen sein würde, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
    Das kaiserliche Schreiben, die Antwort auf sein Gesuch, war gestern Nachmittag in der Questura eingetroffen. Ein Oberleutnant aus dem Stab Toggenburgs hatte ihm den Umschlag persönlich übergeben. Er hatte sich den Erhalt des Schreibens auf zwei verschiedenen Formularen quittieren lassen und war anschließend mit einem übertrieben zackigen Salut verschwunden. Ob er sich über ihn lustig gemacht hatte? Nachdem Spaur das Schreiben gelesen hatte, war ihm kurz der Gedanke gekommen, dass der Oberleutnant den Inhalt kannte und anschließend vor der Questura in schallendes Gelächter ausgebrochen war.
    Spaur hätte jedes einzelne Wort des kaiserlichen Bescheids inzwischen auswendig hersagen können, doch irgendetwas zwang ihn dazu, das Dokument alle zehn Minuten aus dem Umschlag zu holen, um es abermals zu lesen.
    Er hatte kurzfristig die Möglichkeit erwogen, dass es sich um eine Fälschung handelte, dass ihm jemand auf der Kommandantura (wo man seine persönlichen Verhältnisse bedauerlicherweise gut kannte) einen geschmacklosen Streich gespielt hatte. Aber das war natürlich Unsinn. Es zeigte lediglich, dass seine Nerven am Boden schleiften.
    Eine ganz andere Frage war, ob der Kaiser das Dokument persönlich unterschrieben hatte. Wie viele Unterschriften musste er täglich leisten? Hundert? Zweihundert?

    Dreihundert? Griff er dann jedes Mal höchstpersönlich zur Feder? Und wenn – las er alles, was er unterschrieb? War es nicht denkbar, dass der Allerhöchste dieses fatale Schreiben zwar unterschrieben, aber nie gelesen hatte? Dass dies alles auf einer Entscheidung subalterner Ränge beruhte? Allerdings war es auch vorstellbar, überlegte Spaur weiter, dass Franz Joseph tatsächlich in eigener Person über sein Gesuch entschieden hatte. Und dass er nichts dabei fand, ihn kalten Herzens ins Unglück zu stoßen.
    In diesem Falle, dachte Spaur grimmig, blieb ihm nur noch die Hoffnung, dass ein Sturm die Jupiter in den Grund bohren und der Kaiser und seine Entourage als Fischfutter enden würden. Dann würde Erzherzog Maximilian aus Mexiko zurückkehren, um den verwaisten Thron zu besteigen. Und der war ein warmherziger, liberal denkender Mensch, der nie auf den Gedanken käme, einen treuen Diener hartherzig um die Erfüllung seines Lebensglücks zu bringen.
    Spaur wandte sich seufzend vom Fenster ab und ging zu seinem Schreibtisch, um das kaiserliche Schreiben einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Als er den Umschlag zur Hand nahm, klopfte es an der Tür.
    Spaur hatte kurz die Vision, es könne sich um Signorina Violetta handeln. Er straffte sich und rückte sein Halstuch zurecht. «Ja, bitte?»
    Nein, es war nur der kroatische Etagendiener, der seinen Kopf ins Zimmer steckte. «Commissario Tron möchte Sie sprechen, Exzellenz.»

    Als Tron das Zimmer betrat, sah er Spaur einen Umschlag mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der bei etwas ertappt wird, auf den Schreibtisch zurücklegen. Der Polizei präsident trug eine gesteppte Hausjacke, ein gepunktetes Halstuch und an den Füßen weiche Hausschuhe. Ein Frühstückstablett mit Kaffee, kuchigen Resten und einer Schale Demel-Konfekt stand auf einem kleinen

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