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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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hatte, diese traurige Geschichte wohl bekannt gewesen war?
    Tron war sich sicher, dass der englische Lord und der ehemalige Dominikanermönch – wären sie sich in einem gemeinsamen Jahrhundert begegnet – Gefallen aneinander gefunden hätten.

    Holenias Wohnung bestand aus zwei schäbigen, unter dem Dach gelegenen Räumen, deren einziger Vorzug in dem Ausblick bestand, den man aus ihren Fenstern hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Canal Grande lag der Palazzo Grimani, drehte man den Kopf ein wenig nach links, sah man die beiden Obelisken auf dem Dach des Palazzo Balbi.
    Die Einrichtung des Zimmers, in das Holenia Tron geführt hatte, beschränkte sich auf ein zerschlissenes Kanapee, einen Tisch, zwei Stühle und einen ausrangierten Aktenschrank.
    Mitten im Zimmer stand ein Kajütenkoffer, der offenbar auf seine Abholung wartete, darauf lag ein Regenschirm.
    Bücher häuften sich in kniehohen Stapeln an den Wänden, bedeckten Tisch und Stühle. Einen Stuhl räumte Holenia frei, damit Tron sich setzen konnte, er selbst hatte auf dem Kanapee Platz genommen. Auf dem Tisch stand, zwischen zwei Bücherstapeln, ein Schachbrett mit einer angefangenen Partie. Holenia war ein hagerer, asketisch wirkender Mann mit freundlichen grauen Augen, die Scharfsinn und Humor zugleich ausstrahlten.
    «Ich wusste nicht, dass Sie verreisen, Herr Oberst», sagte Tron und deutete auf den Kajütenkoffer.
    Holenia zuckte die Achseln. «Mein Dampfer nach Triest geht um Mitternacht. Morgen beginnen die Militärmeisterschaften in Görtz. Man war so freundlich, mich einzuladen, obwohl ich nicht mehr im aktiven Dienst bin.» Er sah Tron neugierig an. «Spielen Sie Schach?»
    «Leider nicht, Herr Oberst.»
    «Ein Fehler», sagte Holenia. «Es schult den Verstand.» Er lehnte sich in sein Kanapee zurück. «Spaur hat mich gebeten, Ihnen behilflich zu sein. Worum geht es?»
    Tron beschränkte sich auf die Schilderung der Tatsachen, ohne zu versuchen, sie in einen sinnvollen Zusammenhang zu stellen. Während er sprach, beobachtete er mit Genugtuung, dass Holenia, so wie Spaur, ihm mit wachsendem Interesse folgte.
    «Eine bizarre Geschichte», meinte Holenia, nachdem  Tron seinen Bericht beendet hatte. «Jemand transportiert einen verlöteten Sarg nach Venedig, in dem sich Schieß pulver befindet. Der Transporteur wird ermordet, der Sarg von seinem Mörder abgeholt. Einen Tag später wird das Schießpulver beerdigt und am darauffolgenden Tag wird der Mann ermordet, der die Beerdigung besucht hat, aber definitiv nicht der Mörder des Mannes aus dem Zug ist.
    Und in seiner Wohnung finden sich Zündschnüre. Es passt alles irgendwie zusammen. Man weiß nur nicht, wie.» Holenia lächelte. «Haben Sie schon eine Theorie, Commissario?»
    «Wir tappen vollständig im Dunkeln.»
    «Warum lassen Sie nicht das Militär tappen? Für Attentate auf den Kaiser ist die Kommandantura zuständig. Das ist Toggenburgs Ressort. Andererseits ist dieser Fall ein ausgesprochener Leckerbissen.»
    Tron bezweifelte, dass er die Auffassung Holenias über Leckerbissen teilte. «Der Baron glaubt, dass die Kommandantura damit überfordert wäre. Er hält Toggenburg und seine Militärpolizei für …» Da er befürchtete, zu weit zu gehen, brach er ab und schwieg.
    «Sprechen Sie es ruhig aus.»
    «Für unfähig, schwerfällig und korrupt.»
    «Womit er völlig recht hat», stimmte der Oberst zu. «Das gilt auch für das Hauptquartier in Verona.» Er rieb sich die Hände. «Was kann ich für Sie tun, Commissario? Sie sehen mich geradezu – begeistert. Fast wünschte ich, ich könnte diese Reise verschieben.»
    «Die Questura ist nicht für Politik zuständig», sagte Tron. «Wir befassen uns mit Kriminalität. Informationen über konspirative Gruppen haben wir nicht.»
    «Und was erwarten Sie von mir?»

    «Dass Sie uns einen Hinweis geben. Wer könnte dieses Schießpulver bestellt haben? Wer könnte ein Interesse daran haben, ein Attentat auf den Kaiser zu verüben?»
    Holenia lächelte. «Die Antwort ist sehr einfach, Commissario. Sie lautet: niemand.»
    «Wie bitte?»
    «Es gibt konspirative Gruppen», sagte Holenia, «die  Schleifchen in den Farben der Tricolore anfertigen. Andere Gruppen besitzen illegale Druckmaschinen und führen hochverräterische Korrespondenzen. Aber dass es jemanden gibt, der ein Attentat auf den Kaiser vorbereitet, kann ich mir nicht vorstellen.» Holenia zuckte die Achseln. «Weil es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Österreich das

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