Die Masken von San Marco
Molin bereits. Und diesen verdammten Revolver lassen Sie in der Schublade.»
Bossi bequemte sich, die Patronen wieder aus der Trommel zu entfernen. Ein schwerer Seufzer deutete an, dass er gezwungen sein würde, sein Leben aufs Spiel zu setzen. «Was mache ich, wenn Zorzi nicht im Casino Molin gewesen ist?»
«Dann finden Sie – ohne Ihr Schießeisen – heraus, wo er gewesen ist», sagte Tron lässig.
«Und wenn sich herausstellen sollte, dass Zorzi am Sonntag im Zug gewesen ist? Und dass er kein Alibi für den Mord an Ziani hat?»
Tron zuckte die Achseln. «Das sind zu viele Schritte auf einmal, Bossi. Darüber müssen wir uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen.»
«Wo erreiche ich Sie, Commissario?»
«Ich bin heute im Palazzo Tron. Und morgen im Palazzo Balbi-Valier.» Tron erhob sich von seinem Schemel und wandte sich zur Tür. Als er die Hand auf die Klinke legte, stellte Bossi die Frage, die Tron die ganze Zeit erwartet hatte.
«Warum wollte Spaur den Fall nicht sofort abgeben?»
Darüber hatte Tron bereits nachgedacht. Allerdings ohne zu einem Ergebnis zu kommen. «Weil er angeblich der Militärpolizei nicht traut», antwortete er lahm. «Aber noch ist nichts endgültig. Spaur wird am Montag darüber entschei den, ob wir den Fall behalten oder nicht. Er fährt mit Signorina Violetta über das Wochenende nach Asolo in die Berge.»
Diese Mitteilung schien Bossi zu interessieren. «Hat er etwas über seine Heirat gesagt?»
«Das hat er nicht», sagte Tron. Und fügte noch hinzu:
«Aber ich weiß, dass Signorina Violetta guter Hoffnung ist.»
Bossi riss die Augen auf und versank einen Augenblick lang in Schweigen. Das musste er erst mal verdauen. Er räusperte sich. «Sie meinen, Signorina Violetta erwartet ein …?»
Tron nickte. «Folglich kann Spaur die Heirat mit ihr nicht endlos aufschieben. Das Problem ist, dass er dafür die Erlaubnis des Kaisers braucht.»
«Wie?» Bossi sah Tron verständnislos an. Es war auch nicht leicht zu verstehen.
«Polizeipräsidenten und Offiziere im Generalsrang», erläuterte Tron, «werden behandelt wie Erzherzöge. Sie benötigen für eine Hochzeit das Einverständnis der Hofburg.
Oder sie demissionieren. Was Spaur offenbar nicht möchte.»
Bossi schüttelte empört den Kopf. «Das ist ja mittelalterlich. Wie wird der Kaiser entscheiden?»
«Es kursiert ein Gerücht, dass Signorina Violettas Bruder mit Garibaldi in Sizilien gewesen ist», antwortete Tron.
«Wenn das auch in den Akten steht, die dem Kaiser vorliegen, sehe ich schwarz für Spaurs Heirat.»
«Denken Sie, das ist der Grund dafür, dass er den Fall nicht sofort abgegeben hat?»
«Wenn wir dem Kaiser das Leben retten», sagte Tron,
«kann er Spaur die Erlaubnis, Signorina Violetta zu heiraten, nicht verweigern.»
32
Es war kurz nach elf, als Boldù den Campo San Vidal überquerte und langsam die Treppen des Ponte Accademia hinaufschritt. Er hatte sich verspätet, aber Oberst Hölzl würde auf ihn warten. Auf der Brücke blieb er stehen. Erdgeruch wehte aus dem Garten des Palazzo Franchetti herüber, der Himmel war wolkenlos, ein samtiges, sternengesprenkeltes Schwarz. Eine Gondel näherte sich dem Ponte Accademia, verschwand unter der Brücke und tauchte auf der anderen Seite wieder auf. Der Gondoliere trug eine weiße Jacke und zeichnete sich im Mondlicht deutlich vom Schiefergrau des Wassers ab. Boldù stützte den Arm auf das gusseiserne Geländer, formte mit den Fingern seiner linken Hand eine Röhre und spähte hindurch wie durch ein Zielfernrohr.
Sein rechter Zeigefinger zuckte unwillkürlich, als sich die Gondel ungefähr hundert Meter von der Brücke entfernt hatte. Die Entfernung zwischen dem Dach des Palazzo Reale und dem Podest, das der Kaiser am Donnerstag besteigen würde, betrug knapp hundert Meter. Mit dem Gewehr, das für ihn bereitlag, würde es kein Problem sein.
Erstaunlich, dachte er, wie glatt alles bisher gegangen war. Die Operation im Coupé, sein Spiel mit den Spuren und auch die improvisierte Liquidation von Ziani – es war alles so problemlos verlaufen, dass es fast beängstigend war.
Die Nachricht von Zianis Tod hatte gestern eingeschlagen wie eine Bombe. Oder, passender gesagt, wie ein Kanonenschlag, hergestellt unter der Verwendung von Sprengkapseln mit starker Wandung, ausgelöst von gefüllten Schwärmerhülsen. Inzwischen kannte er sich in der Feuerwerkskunst hervorragend aus.
Sie hatten Bukettraketen gefüllt, als Zorzi, kalkig bis in die Lippen, auf
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