Die Masken von San Marco
seiner Mutter, der Contessa Tron, heute, an diesem etwas trüben Sonntagmorgen? Zu Alessandro jedenfalls, der vorhin das Frühstück serviert hatte, war sie kalt und förmlich gewesen.
Das ließ darauf schließen, dass sie nicht gut geschlafen hatte und man gut daran tat, ihren …
«Alvise?»
Die Contessa Tron hatte die Kaffeetasse, die sie gerade zum Mund führen wollte, wieder abgesetzt und warf einen misstrauischen Blick über den Tisch. «Was ist los? Stimmt etwas mit der Konfitüre nicht?»
Tron räusperte sich. «Da scheint eine Fliege in die Marmelade geraten zu sein.»
Die Contessa sah ihn verständnislos an. «Gütiger Him mel, dann nimm den Löffel und entferne sie! Ich nehme an, das Tier ist tot. Oder soll ich nach Alessandro klingeln?»
Eine rein rhetorische Frage. Tron schüttelte den Kopf.
«Nein, das wird nicht nötig sein.»
Nach Alessandro zu läuten wäre auch schwierig gewesen, denn der Klingelzug, der im Zuge der Renovierungsarbeiten des Palazzo Tron zwischen Küche und Speisezimmer installiert worden war, hatte nie funktioniert. Man zog, wartete, und es passierte nichts. Weil irgendwo irgendetwas klemmte. Selbstverständlich hatte sich die Contessa geweigert, die Rechnung zu bezahlen.
Überhaupt – die Renovierungsarbeiten. Es war nicht zu übersehen, dass sie ins Stocken geraten waren; zu Trons großer Freude, denn er liebte den Palazzo Tron, so wie er war: mit seinen ausgetretenen Stufen, dem abblätternden Putz, den blinden Spiegeln im Ballsaal und den schadhaften Terrazzoböden. Und da sich bereits nach zwei Tagen zwischen der Contessa und den Handwerkern schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Kosten ergeben hatten, ruhte die Arbeit bis auf weiteres. Drei Leitern und zwei Eimer, die von der Renovierung zurückgeblieben waren, hatte Alessandro auf der Treppenkehre neben einer alten Admiralslaterne versammelt. Dort würde man sich an ihren Anblick gewöhnen, bis man sie irgendwann nicht mehr wahrnahm. Und da die Contessa ihr Geld ohnehin lieber investierte, hatte Tron die Hoffnung, dass sich im Palazzo Tron nicht viel ändern würde.
Auf einem anderen Gebiet waren die Renovierungsarbeiten im Hause Tron allerdings erfolgreicher verlaufen: Die geschäftlichen Aktivitäten schienen wie eine Verjüngungskur auf die Contessa gewirkt zu haben. Sie trug ihr graues Haar jetzt sorgfältig onduliert, ihr altmodisches Lorgnon hatte sie gegen einen schnittigen Kneifer eingetauscht. Im Palazzo Tron verbreitete sie einen Tatendrang, der Tron, welcher die Lethargie seines Vaters geerbt hatte, immer nervös machte. Inzwischen zog er sich meistens in sein Zimmer im Zwischengeschoss zurück, um am Emporio della Poesia zu arbeiten – was er sich auch für heute gleich nach dem Frühstück vorgenommen hatte.
Nach dem Frühstück – denn das musste er noch hinter sich bringen. Und so wie es aussah, war das nicht ganz einfach. Das Brötchen, in das er biss, nachdem es ihm gelungen war, das Tier aus der Konfitüre zu entfernen, war uralt.
So alt, dass seine Zähne nicht einmal einen Fingerbreit eindrangen. Er drehte es um und probierte sein Glück auf der anderen Seite – ohne Erfolg. Tron ließ entnervt das Brötchen sinken und stellte fest, dass ihn die Contessa bereits stirnrunzelnd beobachtete.
«Kann es sein, dass diese Brötchen von …» Nein – bloß keine zweite Diskussion über das Frühstück. Er schwieg, unterdrückte einen Seufzer und tunkte das Brötchen tapfer in seine Kaffeetasse.
Das Stirnrunzeln der Contessa verstärkte sich. Es hatte jetzt einen unheilverkündenden Einschlag ins Energische.
«Was ist mit den Brötchen, Alvise?»
«Nun, sie sind vielleicht ein wenig …» Tron dachte nach. Wie lautete das mot juste ? Mit welchem Adjektiv hätten Manzoni oder Dante das Brötchen bezeichnet? Fest?
Hart? Granithaft? Nein, das alles waren böse Worte, die nur neuen Hader mit der Contessa beschwören würden. Tron sagte zaghaft: «Die Brötchen sind vielleicht ein wenig zu … knusprig.»
«Sie sind von vorgestern, Alvise», erwiderte die Contessa kalt. «Du hattest sie gestern Morgen nicht aufgegessen und einfach liegengelassen. Alessandro musste sie wieder abtragen.»
Die Contessa machte ein Gesicht, als hätte sie die Brötchen höchstpersönlich gebacken, im Schweiße ihres Angesichts die Treppe hochgetragen, sie umsonst serviert und wieder abgetragen.
«Aber bei den kühlen Temperaturen, die wir im Moment haben», fuhr sie fort, «kann man sie schon
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