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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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der Patna aufgetaucht war und den Tod Zianis verkündet hatte. Natürlich tappten sie im Dunkeln, schienen aber zu glauben, dass das Verbrechen in Zusammenhang mit einem Geschäft stand, das Ziani vor kurzem getätigt hatte. Was für ein Geschäft, blieb unklar. Boldù vermutete, dass es mit dem goldenen Halsband in Zianis Wohnung zu tun hatte und dass auch die beiden jungen Burschen daran beteiligt waren. Mit ihnen zusammen hatte er in den letzen Tagen Schlag-, Kometen-, Repetier-und Schwärmerraketen fabriziert. Ihre Gespräche hatten sich lediglich mit Leuchtkugeln, Zündpapieren und Schwärmern befasst – Politisches war kaum zur Sprache gekommen. Natürlich liebten sie den Kaiser nicht, das war ganz deutlich geworden. Aber waren sie – Verschwörer? Auch wenn es sich hier um eine Verschwörung etwas anderer Art handelte? Nein. Eher kamen sie ihm vor wie junge, abenteuerlustige Glücksritter. Was wiederum zu ihrer Beteiligung an dem dunklen Geschäft passte, in das auch Ziani verwickelt gewesen war. Er hatte sich jedenfalls entschlossen, die beiden ungeschoren entkommen zu lassen, wenn er, wie auch immer, dafür sorgte, dass ihre Operation rechtzeitig platzte.
    Und Zorzi? Der jetzt die Leitung des Unternehmens  übernommen hatte? Boldù hatte immer noch Schwierigkeiten, ihn einzuschätzen. Ein nobile, ohne Frage. Hochgewachsen, hager, möglicherweise ein ehemaliger Offizier.
    Nur, wo konnte Zorzi gedient haben? Bei den Österreichern? Unwahrscheinlich. Oder gar bei den Piemontesen?
    Mischte sich da nicht ein leichter piemontesischer Akzent in sein veneziano? Eigentlich, dachte Boldù, hätte ihm Zorzi sympathisch sein müssen, aber das Gegenteil war der Fall.

    Auch hatte er das Gefühl, dass die Abneigung, die er Zorzi gegenüber empfand, auf Gegenseitigkeit beruhte.
    Er hatte lange darüber nachgedacht, was die vier Leute, die unterschiedlicher nicht sein konnten, zu diesem Unternehmen vereinigt hatte. Natürlich konnte er nicht danach fragen – Gespräche über Politik waren tabu. Ob es doch die Piemontesen waren, die hinter der Sache steckten? Dass man in Turin an einem echten Attentat auf den Kaiser kein Interesse haben konnte, war klar. Europäische Souveräne gingen sich nicht gegenseitig an die Gurgel. Aber eine phantasievolle Demonstration für die Einheit Italiens, eine gewaltlose Aktion, die sich nicht als Vorwand für einen massiven Gegenschlag der kaiserlichen Behörden eignete – daran konnte Turin Gefallen finden. Und würde wahrscheinlich bereit sein, dachte Boldù, für ein solches Spektakel fürstlich zu bezahlen. Ging es nur um Geld? Auch das war nicht auszuschließen.
    Bei ihrer letzten Begegnung auf dem Campo Santa  Margherita war der Himmel bedeckt gewesen, und Boldù hatte kaum die Hand vor Augen erkennen können. Heute tauchte der Mond alles in ein ausgelaugtes Halbdunkel, und der ohnehin schon große Campo Santa Margherita kam Boldù riesig vor. Oberst Hölzl stand bewegungslos auf der Südseite der Scuola dei Varotari, nur sein Kopf bewegte sich langsam hin und her. Offenbar wollte er sich nicht ein zweites Mal überraschen lassen.
    Als Boldù näher kam, wäre er fast in Gelächter ausgebrochen. Der Oberst sah aus wie jemand, der auf der Bühne eines Liebhabertheaters einen Spion spielt: Er trug einen Radmantel, dazu einen bis zur Unterlippe reichenden Schal, auf dem Kopf einen halb ins Gesicht gezogenen Schlapphut. Die nächste Militärpatrouille würde ihn sofort verhaften und sich nur schwer davon überzeugen lassen, dass ihnen ein kaiserlicher Oberst in die Hände gefallen war. Hölzl begnügte sich damit, zur Begrüßung unauffällig den Kopf zu senken.
    Ohne sich mit Floskeln aufzuhalten, sagte Boldù knapp:  «Ziani ist ermordet worden.»
    Worauf der Oberst unter seinem Schlapphut kräftig zusammenzuckte.
    «Jemand hat ihn gestern Nachmittag in seiner Wohnung tot aufgefunden», ergänzte Boldù unerbittlich.
    Oberst Hölzl hatte sich wieder gefasst. «Wissen Sie, wer ihn getötet hat?»
    Boldù schüttelte den Kopf. Er hatte lange darüber nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass es überflüssig war, die näheren Umstände von Zianis Tod zu schildern. Das würde den Oberst nur unnötig verwirren.
    «Ziani war in eine Betrugsgeschichte verwickelt», antwortete Boldù. «Es könnte ihn jemand getötet haben, den er betrogen hat. Genaueres ist nicht bekannt.»
    Der Oberst kam sofort auf den Punkt. «Wird die Operation jetzt abgebrochen?»
    «Sie wollen weitermachen.

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