Die Masken von San Marco
vor vollendete Tatsachen stellen. Und wenn Franz Joseph davon erfahren sollte – was mit ein wenig Geschicklichkeit zu vermeiden war –, würde sie ihn zu besänftigen wissen.
Notfalls müsste sie seine ehelichen Umarmungen ertragen.
Elisabeth schüttelte sich. Schon der Gedanke daran war grauenhaft.
Nicht ganz so grauenhaft, aber auch keinesfalls angenehm war der Gedanke an die Einzelheiten der morgigen Abreise – die sich wie üblich in aller Öffentlichkeit zutra gen würde. Sie würden sich morgen Abend in zehn Kut schen – eskortiert von berittenen Offizieren der Ersten Arcièren-Leibgarde – zum Glocknitzer Bahnhof begeben, um den Sonderzug nach Triest zu besteigen. Natürlich würde sich eine gewaltige Menschenmenge am Bahnhof einfinden, denn die Zeitungen hatten ausführlich über die kaiserliche Venedigreise berichtet. Mein Gott, dachte Elisabeth, wie sehr sie diese Glotzerei hasste. Speziell, wenn die Leute auch noch die Dreistigkeit besaßen, Feldstecher und Operngläser auf sie zu richten.
Als sie das Boucher-Zimmer des Alexander-Appartements durchquerte, um wieder in ihren Teil der Hofburg zu gelangen, fiel ihr die letzte Strophe des Gedichtes ein, das sie gestern Abend verfasst hatte. Sie sprach die Verse leise vor sich hin:
Gewahr ich gar ein Opernglas
Tückisch auf mich gerichtet,
Am liebsten sähe ich gleich das,
Samt der Person vernichtet.
Nicht schlecht, dachte sie, obwohl das Poem noch nicht die bissige Eleganz Heines hatte – der war allerdings auch nicht mit Franz Joseph verheiratet. Etwas mit dem Rhythmus stimmte da nicht – und dadurch ergab sich eine falsche Betonung. Aber egal. Sie hatte ohnehin nicht die Absicht, ihre Gedichte zu veröffentlichen. Außerdem konnte sie die Strophe immer noch überarbeiten. Vielleicht würde sie morgen Nacht in ihrem Salonwagen auf dem Weg nach Triest ein wenig an den Versen herumfeilen. Oder übermorgen auf dem Achterdeck der Jupiter – wenn das Wetter mitspielte und sich weiter so erfreulich entwickelte. Oder im Florian.
35
Wie Boldù befürchtet hatte, war die dritte Klasse des Zuges nach Padua überfüllt. Schon vor den Waggons drängten sich Trauben von Reisenden, die alles Mögliche mit sich schleppten – nicht nur Koffer, sondern auch Kartons, zusammengebundene Kleiderbündel, große Körbe und Säcke.
Der Vorteil jedenfalls war, dass er hier mit seinem bizarren Koffer nicht auffiel. Schließlich fand er einen Sitzplatz zwischen einem Zimmermann aus dem Arsenal und einer Putzmacherin aus Castello, die, wie sich bald herausstellte, ihre Cousine in Verona besuchte. Denn im Gegensatz zu den Reisenden der ersten Klasse, die sich fast immer in vornehmes Schweigen hüllten, hatte sich bald eine lebhafte Unterhaltung im Abteil entwickelt. Der ziegenbärtige Glatzkopf, der ihm gegenübersaß, fuhr ebenfalls nach Verona, die ältlichen Damen, die neben ihm Platz genommen hatten, würden in Vicenza aussteigen. Dass sie ihn alle für einen Künstler hielten, war zu erwarten gewesen.
Er trug ein Barett, eine karierte Jacke mit ausgebeulten Ärmeln, dazu eine farbenfrohe, nachlässig gebundene Schleife. Sein Gepäck bestand aus einem übergroßen flachen Koffer, wie Künstler ihn gerne benutzten. Er enthielt ein Dutzend Bogen großformatiges Papier, ferner einen Satz Pinsel, verschiedene Bleistifte und ein hölzernes Kästchen mit Aquarellfarben. Außerdem führte er ein englisches Buch mit dem Titel Elements of Drawing mit sich, das ihm der freundliche Verkäufer in der Kunsthandlung am Campo San Zacharia empfohlen hatte. Boldù hatte den Koffer vor dem Ankauf genau vermessen. Die Diagonale betrug einhundertzwanzig Zentimeter – der Lauf der Waffe würde also hineinpassen. Auch für die Windkammer und das Schloss war noch reichlich Platz. Die Munition und das Zielfernrohr konnte er in den Kasten legen, in dem er die Aquarellfarben aufbewahrte. Er hielt es für unwahrscheinlich, dass auf Strecken innerhalb des Veneto Kontrollen stattfanden. Falls doch, würde man einen Künstler, der in der Dritten reiste, durchwinken. Boldù wollte kein unnötiges Risiko eingehen. Es wäre fatal, mit einer Waffe erwischt zu werden, deren Besitz aus guten Gründen strengstens verboten war.
Er hatte Girandoni, einen Büchsenmacher, vor drei Jahren im Beschaffungsamt in Verona kennengelernt. Eigentlich war er davon überzeugt gewesen, dass niemand mehr von Waffen verstand als er selbst. Aber Girandoni hatte ihn eines Besseren belehrt. Der Büchsenmacher
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