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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Mal Mühe gehabt, wieder einzuschlafen. Doch im Lauf des Vormittags hatte der Regen nachgelassen, gegen Mittag war er zu einem matten Tröpfeln versiegt. Auch war der Flüssigkeitspegel im Schnabel ihres Goethebarometers deutlich gestiegen. Aus Gründen, die sie nie verstanden hatte, bedeutete dies, dass sich das Wetter ändern würde – es hatte sich ja bereits geändert. Das war beruhigend, denn die Vorstellung, sich morgen Abend an der Seite des Kaisers bei strömendem Regen zum Glocknitzer Bahnhof begeben zu müssen, hatte etwas Abschreckendes.
    Als Elisabeth kurz nach zwölf Uhr an eines der Fenster des Alexander-Appartements trat und die Gardine zur Seite schob, hatte sich das Schiefergrau des Himmels in ein helles Taubengrau verwandelt. Der Ballhausplatz unter ihrem Fenster war zwar noch immer voller Pfützen, aber die meisten Fiaker hatten bereits ihre Verdecke heruntergeschlagen – ein untrügliches Zeichen dafür, dass es so bald nicht wieder anfangen würde zu regnen. Elisabeth ließ die etwas brü chige Tüllgardine an ihren Platz zurückfallen und drehte sich um.
    Seit zwei Tagen stand ihr Reisegepäck im großen Salon des Alexander-Appartements – Truhen, Schrankkoffer, Handkoffer und Koffer für Schuhwerk und Wäsche. Zusammen waren es vierundzwanzig Gepäckstücke – jedes  einzelne sorgfältig nummeriert, in einer Liste erfasst und jetzt exakt nebeneinander aufgestellt – ein Werk der Gräfin Königsegg, die in den letzten Tagen zehn Stunden täglich mit den Vorbereitungen der Venedigreise befasst war.
    Das letzte Gepäckstück, das ganz auf der rechten Seite stand, war ein kleiner, unauffälliger Lederkoffer. Er stammte noch aus Possenhofen, auf der Vorderseite war das Wappen der Herzöge von Bayern eingeprägt. Elisabeth hatte ihn höchstpersönlich gepackt, es war das wichtigste Gepäckstück von allen. Es enthielt drei schlichte Promenadenkleider, zwei ebenso unauffällige Mäntel und – in einer separaten Schachtel, damit er nicht verknickte – einen perlgrauen Hut, an dessen Krempe ein schwarzer Schleier befestigt war.
    Ob es wirklich stimmte, was man sich über Pauline  Metternich und die Kaiserin Eugénie erzählte? Dass die beiden verkleidet die Pariser Pferdebahn benutzt hatten?
    Und dabei gequalmt hatten wie die Schlote? Eigentlich unwahrscheinlich, dachte Elisabeth. Die Metternich war eine dumme Pute. Aber Eugénie – der würde sie das glatt zutrauen. Hatte sie nicht mal in Spanien einem Torero einen Preis überreicht und dabei eine Zigarette im Mund gehabt? Und einen Dolch im Gürtel? Kein Wunder, dass Franz Joseph nicht viel von der Kaiserin der Franzosen hielt – ebenso wenig wie von ihrem Gatten. Wenn das Gespräch auf Napoléon kam, wurde er immer gleich sekkant.
    Jedenfalls würde der Hut mit dem Schleier völlig ausreichen. Niemand würde die unauffällig gekleidete Fremde, die im Florian einen Kaffee zu sich nahm, für die Kaiserin von Österreich halten. Die Bestellung würde die Ferenczy übernehmen, die sprach ein wenig Italienisch. Elisabeth vermutete, dass die Kellner im Florian auch Deutsch sprachen, aber das war nicht das Problem. Und es würde aufregend sein, den Blick an die Decke zu richten und sich vor zustellen, dass der Kaiser auf der anderen Seite gerade mit Toggenburg konferierte. Im Grunde genommen würde sie den Palazzo Reale gar nicht verlassen. Elisabeth nahm sich vor, gegebenenfalls darauf hinzuweisen.
    Das Protokoll des kaiserlichen Besuchs, das ihr die Grä fin Königsegg heute Morgen nach dem Frühstück überreicht hatte, entsprach in groben Zügen dem, was bereits mit Franz Joseph besprochen worden war. Sie hatte drei Auftritte zu absolvieren: eine Gala-Vorstellung im Fenice, dann am nächsten Tag die Messe in San Marco mit anschließender Präsenz auf der Piazza, wenn der Kaiser das Wort an seine venezianischen Untertanen richtete. Schließ lich am Abend desselben Tages der große Ball im Palazzo Reale, auf dem sie mit Franz Joseph tanzen müsste, aber das war nicht zu vermeiden. Die Besichtigung des Arsenals und eine Stippvisite bei den kroatischen Jägern hatte sie abgelehnt, und Franz Joseph war nicht weiter in sie gedrungen.
    Größten Wert hatte er allerdings auf ihre Anwesenheit bei seiner Rede auf dem Markusplatz gelegt – ohne dass er ihr näher erklärt hatte, warum.
    Erfreulich war, dass ihr das Programm einen gewissen Spielraum bot, und den gedachte sie zu nutzen. Maria Ferenczy wusste bereits Bescheid. Die Königsegg würde sie

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