Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
Vom Netzwerk:
ihrer Hand und schien über das nachzudenken, was sie eben gehört hatte. «Die Theorie Holenias», sagte sie schließlich, «hört sich an, als würde sie aus einem dieser Romane stammen, die Bossi liest.»
    «Bossi war auch ganz angetan von ihr», sagte Tron. «Jedenfalls erklärt die Theorie, warum jemand einen Sarg stiehlt, um ihn gleich wieder abzuliefern. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass es sich bei diesem Jemand um Zorzi handelt.»
    «Wie gut kennst du ihn?»
    «Wir saßen im Seminario Patriarchale nebeneinander.
    Aber als er ins Exil musste, haben wir uns aus den Augen verloren. Dass er in der piemontesischen Armee war und den Krimkrieg mitgemacht hat, wusste ich nicht.»
    «Wenn es denn stimmt.»
    «Holenia hat keinen Grund, uns Märchen aufzutischen.»
    «Hört sich abenteuerlich an, dass Zorzi sowohl für das Comitato Veneto als auch für den Turiner Geheimdienst gearbeitet hat.»
    «Warum? Turin will die Einheit Italiens. Und das Comitato Veneto den Anschluss Venedigs an Turin.»
    «Traust du Zorzi einen Mord zu?»
    «Es handelt sich allenfalls um ein Tötungsdelikt. Begangen, um etwas Schlimmeres zu verhindern. Ein Anschlag auf den Kaiser hätte fürchterliche Folgen. Da sind mir zwei Tote lieber.»
    «Wie geht es jetzt weiter?»
    Tron hob die Schultern. «Bossi wollte sich noch melden.
    Er versucht herauszufinden, ob Zorzi im Casino Molin gewesen ist, als der Mann im Zug ermordet wurde. Wenn nicht, muss man schnell feststellen, wo er sich aufgehalten hat.»

    «Was sagt dir deine Intuition?»
    «Die funktioniert nur bei Gedichten.»
    «Das ist keine Antwort auf meine Frage.»
    «Meine Intuition sagt mir, dass Zorzi es nicht gewesen ist. Und dass wir noch immer nicht verstanden haben, was sich hier im Moment abspielt.»
    «Werdet ihr den Fall abgeben?»
    «Das wird auch davon abhängen, was Bossi herausfindet.
    Aber letztlich entscheidet es Spaur.» Tron seufzte. «Der dringend einen Erfolg braucht, weil er ohne kaiserliche Erlaubnis nicht heiraten darf. Die Ergreifung der Attentäter wäre solch ein Erfolg.»
    «Wir brauchen auch dringend einen Erfolg», sagte die Principessa. «Was ist mit der Halskette, die Zianis Mörder mitgenommen hat? Wenn Zorzi der Mörder war, dann hat er sie irgendwo versteckt.» Sie nahm eine Zigarette aus ihrem Etui und zündete sie an. «Was hältst du von einer Razzia?»
    «Vielleicht im Casino Molin?»
    «Warum nicht?»
    «Das Casino hat eine Militärlizenz. Für eine Razzia benötigen wir die Einwilligung Toggenburgs», sagte Tron.
    «Abgesehen davon bin ich noch immer nicht davon überzeugt, dass Zorzi unser Mann ist.»
    «Hat er eine Privatwohnung?»
    «In der Nähe der Gesuati.»
    «Dann werft doch einen Blick in seine Schränke, während er im Casino Molin ist», schlug die Principessa vor.
    «Wenn ihr das Halsband findet, hättest du Zorzi in der Hand. Und könntest Spaur die Verschwörer auf dem silbernen Tablett servieren.»
    «Du redest wie Bossi. Jedes zweite Wort ist hätte oder könnte. Lass uns abwarten, was er herausgefunden hat.»

    «Wenn er überhaupt etwas herausgefunden hat.»
    Tron lächelte. «Das hat er. Und meine Intuition sagt mir, dass er bereits auf dem Weg ist.»

    Wie Tron vorausgesagt hatte, erschien Bossi tatsächlich eine halbe Stunde später. Da Massouda die Anweisung hatte, den ispettore nicht anzumelden, sondern sofort in den Salon zu führen, öffnete sich die Tür nach kurzem Anklopfen formlos, und Bossi erschien auf der Schwelle. Tron erhob sich, um ihm die Hand zu geben, aber auch um sein Eintreten in den Salon der Principessa besser beobachten zu können – ein Schauspiel, das ihn immer wieder aufs Neue faszinierte. Der Stolz, im Palazzo Balbi-Valier empfangen zu werden, ließ Bossi jedes Mal sein Kinn emporrecken. Zugleich aber bewirkte die Beklemmung, in die er angesichts des üppigen Luxus im Palazzo der Principessa geriet, dass sein Kopf nach unten sackte und sich seine Schultern nach oben zogen. Resultat dieser widerstrebenden Impulse war, dass sein Oberkörper in eine Schieflage geriet und er sich mit leichter Schlagseite über den Teppich schob.
    «Zorzi ist also Sonntagnacht nicht im Casino Molin gewesen», erriet Tron.
    Bossi hatte Platz genommen, und Tron hatte den ispettore  – man bediente sich abends im Salon der Principessa selbst –  mit Kaffee und Gebäck versorgt.
    Bossi zog erstaunt die Augenbrauen hoch. «Woher wissen Sie das, Commissario?»
    «Weil es kein Problem für Sie gewesen sein dürfte, das

Weitere Kostenlose Bücher