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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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hatte? Was sprach also dagegen, Tron zur Patna zu schicken? Und ihm bei dieser Gelegenheit auch die Halskette zu präsentieren, die Boldù zweifellos in seiner Wohnung versteckt hatte?
    Von der Gesuati schlug es sieben, und Zorzi schätzte, dass er mindestens eine Stunde Zeit hatte, bevor Boldù auftauchte. Es war geplant, heute die restlichen Raketen herzustellen, um morgen mit der Installation auf dem Dachboden der alten Prokuratien zu beginnen. Sie würden bis mindestens neun Uhr auf der Patna beschäftigt sein. Länger als eine halbe Stunde würde er nicht brauchen, um die Wohnung gründlich zu durchsuchen.
    Zorzi zog den Schlüssel aus der Tasche, aber bevor er die Tür öffnete, entzündete er seine Blendlaterne und ließ ihren Schein über die Ränder der Tür gleiten. Schließlich fand er, wonach er gesucht hatte: ein winziges Stückchen Papier, das Boldù zwischen Zarge und Türblatt geklemmt hatte. Zorzi entfernte es und nahm es an sich, um es nachher wieder an dieselbe Stelle zu stecken.
    Die Wohnung bestand aus zwei hintereinanderliegenden Räumen, Küche und Schlafzimmer. Zorzi begann in der Küche. Auf dem Tisch stand eine geöffnete Weinflasche, ein Glas und ein Aschenbecher in Form einer gläsernen Gondel mit einer Zigarettenkippe darin. Das spärliche Geschirr im Küchenschrank war offenbar nie benutzt worden, ebenso wenig wie der gemauerte Herd. Ihn mit seinen vielen Klappen und Öffnungen als Versteck zu benutzen wäre keine sehr originelle Idee gewesen, aber da sich Boldù genau das gesagt haben konnte, blieb Zorzi nichts anderes übrig, als sämtliche Klappen, Feuerlöcher und Roste genau zu untersuchen – allerdings ohne Erfolg. Auch der große Wasserkrug auf dem Herd, auf dessen Boden man eine
    Halskette gut verstecken konnte, enthielt nichts als abgestandenes Wasser.
    Zorzi verließ die Küche und betrat das Schlafzimmer, wobei er vorsichtshalber die Tür zwischen den beiden Räumen schloss. Er sah einen Kleiderschrank, ein Bett und daneben einen Nachttisch mit einer Petroleumlampe. In der Ecke stand ein runder eiserner Ofen, daran ein langes Rohr, das ihn mit dem gemauerten, wie ein Risalit aus der Wandfläche hervorspringenden Abzug verband. Im Kleiderschrank fanden sich ein Mantel, ein Gehrock, ein paar Hemden, Unterwäsche und – zu Zorzis Überraschung – in einem Kleidersack eine Uniform der Kaiserjäger. Die Distinktionen, bestehend aus zwei Sternen auf den Schulterklappen, wiesen ihren Träger als Oberleutnant aus. Ziani, der Boldù am Bahnhof abgeholt hatte, hatte nur einen Koffer erwähnt. Von einem Kleidersack war nicht die Rede gewesen. Also musste sich Boldù die Uniform in Venedig besorgt haben. Aber aus welchem Grund?
    Der Koffer aus genarbtem Leder, der auf dem Kleiderschrank lag, war leer. Kein Geheimfach, kein doppelter Boden, nichts. Zorzi ging zum Bett, schlug die Tagesdecke zurück und schüttelte das Kopfkissen. Dann tastete er die Matratze sorgfältig ab und hob sie an. Auch nichts. Schließ lich kniete er sich vor dem Ofen nieder, öffnete die Klappe und stocherte mit dem Schnürhaken in der spärlichen Asche herum – ebenfalls ohne etwas zu finden. Der Ofen war eiskalt und offenbar nie benutzt worden.
    Vermutlich, dachte er ein paar Minuten später, hätte er das Versteck nie entdeckt, wenn sein Blick nicht auf das kleine Häufchen Ruß gefallen wäre, das direkt unter dem schräg in den Abzug führenden Ofenrohr lag. Als er das Rohr untersuchte, stellte er fest, dass es sich gelockert hatte.

    Entweder hatte Boldù versucht, es zu reparieren, was äu ßerst unwahrscheinlich war, oder er hatte einen anderen Grund gehabt, das Rohr zu entfernen und es wieder an seine Stelle zu setzen.
    Zorzi ruckelte es aus seiner Halterung und legte es vorsichtig auf den Boden. Er entfernte das Zeitungspapier an der oberen und unteren Öffnung des Rohres und fand – eingeschlagen in ein Tuch aus grobem Leinen, ein Gewehr. Es hatte einen übergroßen, metallenen Kolben, und Zorzi verstand genug von Waffen, um sofort zu erkennen, dass es sich um eine fusile à vent handelte – deren Besitz strengstens verboten war, weil es keine perfektere Waffe für einen Anschlag gab. In einem Leinenbeutel fand sich, separat in Zeitungspapier eingeschlagen, die goldene Kette, nach der er gesucht hatte. Der Beutel enthielt außerdem ein halbes Dutzend Projektile und ein kleines, mit vier Buchstabenreihen bedrucktes Stück Papier – offenbar eine codierte Nachricht.
    Als Zorzi in die Knie ging und

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