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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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seines Kreises zu durchmessen.
    Und auch die letzten Seiten des Emporio della Poesia, die Tron noch durchzusehen hatte, waren nicht unbedingt geeignet, ihn zu fesseln und seine Gedanken vom Thema Zorzi abzulenken. Spaurs Beitrag bestand diesmal in einer Reihe von Sonetten, die der Polizeipräsident offenbar für seine junge Verlobte verfasst oder irgendwo zusammengeklaut hatte. Das erste Gedicht war mit Violetta überschrieben:
    Die schlanke Violetta bin ich, jedes Gartens Zier.
    So groß ist meine Schönheit, dass der Griechen Gier Zahlt mehr für meine Zwiebel als für den Demant, Wenn rein sind meine Triebe, wenn prächtig ich genannt.

    Tron stellte fest, dass ihm der Griechen Gier gefiel, er aber trotzdem keine Lust hatte, Spaurs Gereime jetzt zu Ende zu lesen. Überhaupt Spaur – für den hing auch einiges vom Ausgang des heutigen Abends ab. Ebenso wie für Königsegg. Wenn die Halskette verschwunden blieb, konnte er sich gleich eine Kugel in den Kopf jagen. Und die Principessa? Und die Contessa? Erwarteten die beiden nicht geradezu vom ihm, dass er den Fall löste und anschließend die kaiserliche Gunst nutzte, um die leidige Zollaffäre zu einem guten Ende zu bringen? Tron ließ den Probedruck auf die Knie sinken, schloss die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus. Ob der Kaiser ahnte, was für ein Durcheinander er in Venedig ausgelöst hatte? Lange bevor er überhaupt einen Fuß auf den Molo gesetzt hatte? Wahrscheinlich nicht.

    Wieder machte es pling, und Tron schlug die Augen auf.
    Zehn Uhr. Zwei Stunden noch bis Mitternacht. Auch die Principessa schien nicht mehr recht bei der Sache zu sein.
    Sie rutschte hektisch auf ihrer Recamière hin und her und hatte ebenfalls einen unruhigen Blick auf die Kaminuhr geworfen. Schließlich ließ sie ihren Rotstift sinken, hob den Kopf von ihren Papieren und sah Tron an. Tron vermutete, dass sie ihn fragen würde, was er sich selbst die ganze Zeit gefragt hatte: ob Zorzi ihn belogen hatte.
    Nein. Sie wurde gleich persönlich. «Ich verstehe nicht, wie du unter diesen Umständen seelenruhig in dem Emporio lesen kannst.»
    Seelenruhig? Tron streckte die Hand aus, um ein weiteres fruit candi aus der Silberschale auf dem kleinen Tisch vor ihm zu fischen. «Ich wüsste nicht, was ich sonst tun sollte», sagte er. «Wir können leider nur warten.»
    «Und wie lange noch? Bis Mitternacht? Bis morgen oder übermorgen? Bis der Kaiser tot ist?»
    «Maria, ich …»
    Eine fallbeilartige Handbewegung der Principessa schnitt Tron das Wort ab. «Du lebst in einem Wolkenkuckucksheim. Dein guter Freund Zorzi hatte nie die Absicht, sich bei dir zu melden.»
    «Maria, er …»
    Wieder brachte ihn das Fallbeil zum Schweigen. «Dieser Zorzi hat dich reingelegt, Tron.»
    «Er hat mir gesagt, dass er den Nachmittag und den  Abend braucht.»
    «Dann solltest du zur Kenntnis nehmen, dass es bald  Mitternacht ist.»
    «Es ist gerade mal zehn, Maria.»
    Aber die Principessa war nicht in der Stimmung, sich um Kleinigkeiten wie Uhrzeiten zu kümmern. Ihre Achataugen glitzerten wie polierter Stahl. «Und was machst du, wenn er sich nicht meldet?»
    Eine Frage, die zu Trons grenzenloser Erleichterung  nicht beantwortet werden musste, denn in dem Moment  klopfte es an der Tür. Es war Moussada oder Massouda –  einer der äthiopischen Diener der Principessa, die Tron immer verwechselte. Er stand auf der Schwelle, und in der Hand hielt er ein silbernes Tablett mit einem zusammengefalteten Bogen. Die Pfauenfeder auf dem Turban des Dieners wippte, als er sich verbeugte.
    Tron sprang hastig auf, wobei er mit dem Knie an das Tischchen stieß und beinahe die Kaffeekanne der Principessa umgestürzt hätte. Nicht dass es darauf angekommen wä re.
    Zorzis Nachricht war kurz. Sie bestand nur aus einer einzigen, offenbar in großer Eile geschriebenen Zeile.
    Die Principessa sah Tron gespannt an. «Was ist?»
    «Er will mich treffen», sagte Tron.
    «Wann?»
    «Sofort.»
    «Und wo?»
    «Auf einem Schiff, das vor der Punta di Santa Marta  liegt. Ein ehemaliger Lastensegler mit Namen Patna .»
    Die Principessa runzelte die Stirn. «Wieso will er dich auf einem Schiff treffen?»
    «Vermutlich befindet sich dort der Sprengstoff.»
    «Also ist Zorzi doch in diese Geschichte verwickelt.»
    «Es kommt darauf an, was du unter verwickelt verstehst», erwiderte Tron. «Dass er zweimal getötet hat, kann ich mir noch immer nicht vorstellen.»
    «Nimmst du Bossi mit?»

    Tron schüttelte den Kopf. «Mit Zorzi

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