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Die Masken von San Marco

Die Masken von San Marco

Titel: Die Masken von San Marco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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die Absicht hatte, sich nach dem Frühstück wieder ins Bett zu legen, trug seine bequeme Hausjacke aus rotem Samt.
    «Was die Gazzetta di Venezia über die Ankunft des Kaisers schreibt, ist Unsinn. Hör dir das an: ‹Als der Allerhöchste seinen Fuß auf den Molo setzte, brach in der zahlreich versammelten Zivilbevölkerung spontaner Jubel aus.›»

    «Ein leibhaftiger Kaiser, der mit großem Gefolge am  Molo aus dem Schiff steigt», sagte die Principessa, ohne von ihren Papieren aufzusehen, «ist immer ein erfreulicher Anblick.»
    «Aber kein Grund zum Jubeln. Schon gar nicht für die Venezianer. Von denen es außerdem auf der Piazzetta nicht sehr viele gegeben haben dürfte.»
    «Was soll das heißen?»
    «Alle Hotels sind randvoll belegt mit Offizieren und Unteroffizieren aus Verona. Die meisten tragen Zivil. Und die sitzen nicht im Café, wenn der Kaiser am Molo aus dem Schiff steigt, sondern haben ihre Orders. Von spontanem Jubel der Zivilbevölkerung kann also nicht die Rede sein.»
    Tron nahm sich noch eines der puddinggefüllten Zimthörnchen, von denen er schon ein halbes Dutzend verspeist hatte. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Anblick der kaiserlichen Person irgendwo im Veneto spontanen Jubel auslöst.»
    «Du redest wie ein Anhänger Garibaldis.»
    «Das bin ich nicht. Du weißt, was ich von der italienischen Einheit halte.» Tron biss von dem Zimthörnchen ab und trank einen Schluck von seiner heißen Schokolade.
    «Ich frage mich, zu wie vielen Verhaftungen es diesmal gekommen ist. Aber darüber steht in der Gazzetta di Venezia natürlich nichts.»
    «Wieso Verhaftungen?»
    «Wegen der grün-weiß-roten Schleifchen, die sich die jungen Leute an die Revers heften, wenn der Kaiser nach Venedig kommt», erläuterte Tron. «Deshalb gibt es bei jedem Besuch mindestens ein Dutzend Verhaftungen.»
    «Und wer nimmt sie vor?»
    «Wir selbst. Uns bleibt ja nichts anderes übrig. Natürlich ist beides albern: sowohl die Verhaftungen als auch das Anheften dieser Bändchen.»
    «Und was geschieht mit den Verhafteten?»
    «Sie werden vierundzwanzig Stunden lang in der Questura festgehalten und dann unter der Hand freigelassen», sagte Tron. «Spaur hält es für klüger, keine große Geschichte daraus zu machen.»
    «Eine Vorgehensweise, die der Stadtkommandant vermutlich nicht billigt.»
    Tron nickte. «Was auch ein Grund dafür ist, dass die zivile venezianische Polizei bei dem gegenwärtigen Besuch des Kaisers nur eine Statistenrolle spielt.»
    «Damit Toggenburg fleißig arretieren kann?»
    «Sicher. Obwohl es nicht im Interesse des Kaisers liegt, wenn die Situation eskaliert. Man wird Toggenburg bremsen, wenn er zu scharf vorgeht.»
    Die Principessa legte ihre Papiere beiseite und warf einen nachdenklichen Blick auf das oberste Blatt. Dann sagte sie: «Der Bericht, den Spaur gestern in den Palazzo Reale geschickt hat – meinst du, der Kaiser hat ihn schon gelesen?»
    «Auf jeden Fall. Die Angelegenheit ist keine Lappalie.
    Und wir haben sehr effizient gearbeitet.» Das Wort effizient war neu in Trons Wortschatz, und es erinnerte ihn an moderne Wörter wie Dampfmaschine, Gasventil (was immer das war) und Telegraphie. Tron hatte dieses Wort von Bossi gelernt und vermutete, dass es der Principessa gefiel. «So stellt Spaur es jedenfalls dar.»
    «Was nichts anderes bedeutet, als dass euch der Kaiser sein Leben verdankt.» Es blieb unklar, ob die Principessa das ernst meinte.

    «Es wäre jedenfalls wünschenswert, wenn der Kaiser das so sähe.» Tron nippte an seiner heißen Schokolade und genoss das leichte Vanillearoma, das in seine Nase wehte.
    «Auf jeden Fall», sagte die Principessa, «ist es ein Triumph für Spaur und eine Blamage für Toggenburg.»
    Tron senkte zustimmend den Kopf. «Stadtkommandant  Toggenburg kann einem fast leidtun.»
    Er häufte sich eine Portion Schlagsahne auf die Schokolade, fügte noch einen großzügigen Löffel Schokostreusel hinzu – und sah aus den Augenwinkeln, dass Moussada, einer der äthiopischen Diener der Principessa, das Frühstückszimmer betreten hatte. In der Hand hielt er das kleine Silbertablett, auf dem die Principessa ihre private Post empfing. Neben Trons Stuhl blieb er stehen, und Tron sah, dass ein großer und ein kleiner Umschlag auf dem Tablett lagen.
    Der große war in auffällig makelloser Anglaise an Conte Tron, Questura adressiert und trug auf der linken Seite das Wappen des Kaisers. Der kleinere Umschlag, ein billiger Militärumschlag, wie

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