Die Masken von San Marco
kaiserliche Behörden sie im Dienstverkehr benutzen, hatte keinen Absender, aber Tron erkannte die Handschrift Spaurs.
Die Principessa beugte sich neugierig über den Tisch.
«Wer schreibt dir?»
Tron musste lachen. « Lupus in fabula. »
«Wie bitte?»
«Der Kaiser schreibt mir», sagte Tron. «Und der Polizeipräsident.»
«Dann mach die Briefe auf.»
Die Nachricht des Polizeipräsidenten beschränkte sich auf die knappe Mitteilung, dass heute Morgen ein kaiserliches Schreiben für ihn in der Questura abgegeben worden sei und dass er, Spaur, ihm gute Genesung wünsche. Der kaiserliche Umschlag enthielt eine prunkvoll bedruckte Einladungskarte aus dickem Chinakarton, ein Formular der Luxusklasse mit handschriftlichen Eintragungen und einer unleserlichen Unterschrift. Als Tron nach zweimaligem Lesen verstanden hatte, worum es ging, hätte er die Nachricht fast vor Überraschung fallen gelassen.
Die Principessa sah Tron gespannt an. «Würdest du mir bitte verraten, was du da hast?»
«Eine Einladung in den Palazzo Reale», sagte Tron. Lächelnd fügte er hinzu: «Für uns beide.»
Dann beobachtete er amüsiert, wie die Hand der Principessa unwillkürlich nach ihrem Zigarettenetui griff, es aufklappte und sie einen Blick in den kleinen Spiegel auf der Innenseite des Deckels warf.
Die Principessa, deren Wangen sich leicht gerötet hatten, räusperte sich nervös. «Wann werden wir erwartet?»
«Morgen Abend um sieben Uhr.» Tron schob die Karte über den Frühstückstisch.
Die Principessa überflog die Einladung und runzelte die Stirn. «Datum, Zeit und Ort sind per Hand eingetragen.»
Tron nickte. «Die genauen zeitlichen Abläufe des kaiserlichen Protokolls werden erst kurz vorher bekannt gegeben.»
«Aus Sicherheitsgründen?»
«So habe ich es verstanden. Man will potenziellen Attentätern die Arbeit so schwer wie möglich machen.»
«Empfang mit anschließender Redoute», sagte die Principessa nachdenklich. «Selbstverständlich in pontificalibus.
Also ich in Abendtoilette und du im Frack mit Distinktionen.» Sie zögerte einen Moment, dann legte sie das Pincenez, mit dem sie die Einladung betrachtet hatte, ab und sah Tron eindringlich an. Er hatte eine Bemerkung zu seinem an den Ärmeln etwas fadenscheinigen Frack erwartet, doch stattdessen sagte die Principessa: «Wobei sich auch die Gelegenheit ergeben könnte, ein paar Worte mit der Kaiserin zu reden.»
«Ich kann die Kaiserin bei dieser Gelegenheit unmöglich auf Schutzzölle ansprechen, Maria.»
«Natürlich nicht. Aber du könntest sie um eine kurze Unterredung für den folgenden Tag bitten. Diese Leute sind dir verpflichtet. Die Kaiserin kann unmöglich vergessen haben, was du für sie, ihren Schwager und ihre Schwester getan hast.»
Tron lehnte sich ermattet zurück und schüttelte den Kopf. «Im Grunde ist das alles ein Witz.»
«Was? Dass wir uns Sorgen wegen der Schutzzölle machen?» Die Principessa warf einen frostigen Blick auf Trons Tasse mit der heißen Schokolade und dem üppigen Sahnehäubchen darauf. «Dass wir den Wunsch haben, auch in Zukunft sündhaft teures Kakaopulver von einem Pariser Lieferanten zu beziehen?»
Tron schüttelte den Kopf. «Das meine ich nicht. Ich meine diesen Bericht, den Bossi verfasst hat. Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, dass Zorzi zwei Menschen auf dem Gewissen hat.»
«Und was wirst du tun?»
«Mich gleich wieder ins Bett legen.» Tron gähnte herzhaft. «Ich wüsste nicht, was ich jetzt tun könnte. Die Beweise sprechen eindeutig gegen Zorzi. Alles, was ich dagegen ins Feld führen kann, ist ein schlechtes Gefühl.» Tron sah die Principessa an. «Vielleicht sollte ich ja doch auf dein Angebot zurückkommen. Und in die Firma eintreten.»
«Denkst du ernsthaft darüber nach, aus dem Polizeidienst auszuscheiden?»
«Vielleicht hast du ja recht, und es wird tatsächlich zu gefährlich.»
Die Principessa hatte sich eine Zigarette angezündet.
«Sag mir, ob du das ernst meinst.»
«Ich könnte darüber nachdenken, mich in gewisse Geschäftsfelder einzuarbeiten.» Tron hoffte, dass sich das Wort Geschäftsfelder ebenso vage anhörte wie das Wort einarbeiten.
«Dann fang morgen Abend damit an. Lass dir einen Termin bei der Kaiserin geben.»
«Auf der Redoute plump mit der Tür ins Haus zu fallen könnte mich einige Sympathie kosten.»
Himmel, das hätte er lieber nicht sagen sollen. Die wü tende Antwort der Principessa erfolgte auf der Stelle – in einem Florentinisch,
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