Die Maurin
das ihre Mutter ihr als Kind so oft vorgesungen hatte:
»
Nini ya mumu
hatta itib ’aschana
u-ida ma tab ’aschana
itib ’ascha dschiranna
hatta idshi bana
naklu ’schana«
Mit jeder Zeile erwachten weitere Erinnerungen an ihre Kindheit, die liebevolle Fürsorge ihrer Mutter, ihre kleinen Verschwörungen, ihre Spiele, ihr Lachen … Mit Tränen in den Augen drückte Zahra ihre Lippen auf das feine Flaumhaar ihres Bruders. Mein Gott, steh Mutter bei, um Himmels willen, steh Mutter bei!
Erst eine gute Stunde später kam Hayat wieder. »Ali al-Attar hat sich nicht nur um eine Amme, sondern auch um einen Arzt bemüht«, berichtete sie. »Die Amme habe ich schon aufgesucht. Sie macht einen gesunden und reinlichen Eindruck, aber sie hat außer ihrem Säugling noch drei weitere kleine Kinder, die sie nicht allein lassen kann. Sie hat vorgeschlagen, dass wir Mahdi bei ihr lassen, aber das wollte ich nicht. Es würde Mutter gewiss aufregen, wenn sie zu sich kommt und Mahdi nicht bei uns ist. Auf den Arzt werden wir allerdings noch warten müssen: Er muss erst noch einige Schwerverletzte versorgen.«
Zahra nickte und schlug vor, Mahdi jetzt gleich zu der Amme zu bringen. »Ich wundere mich ohnehin schon, dass er noch nicht lauthals nach seinem Essen schreit.« Sie sah zu Tamu. »Kommst du mit Zainab allein zurecht? Ich denke, wenn wir schon keine passende Begleitung haben, sollten Hayat und ich wenigstens zu zweit gehen, oder?«
Die alte Berberin nickte, allerdings hatte Zahra den Eindruck, dass sie kaum wahrnahm, was sie und Hayat sagten; ihr Blick hing einzig und allein an Leonor, und für einen bangen Moment schoss Zahra der Gedanke durch den Kopf, dass es vielleicht nur Tamus inständig flehender Blick war, der den Geist ihrer Mutter noch bei ihnen hielt. Angst schnürte ihr den Hals zu. Hastig wandte sie sich zu Hayat um und winkte ihr zu. »Komm, beeilen wir uns!«
Sie hüllte sich in ihren Hidschab, wobei sie Mahdi ein Stück weit mit in ihrem Umschlagtuch bedeckte, und verließ mit Hayat das Haus. Stumm gingen sie nebeneinander her, jede mit ihren eigenen Ängsten und Zweifeln beschäftigt.
Erst auf dem Rückweg, den satten und selig schlummernden Mahdi auf dem Arm, wagte Zahra, ihre Gedanken offen auszusprechen. »Was soll bloß werden, wenn Mutter nicht wieder gesund wird? Mahdi braucht sie doch, und Vater und … Ach, Hayat, Mutter darf nichts geschehen!«
Hayat nahm ihre Hand und drückte sie kurz. »Tamu hat Leonor schon einmal gerettet, sicher wird es ihr noch einmal gelingen.
Inschallah.
«
Ja, so Gott es will, dachte Zahra bang.
Hayat räusperte sich. »Weißt du, ich hatte mir überlegt, dass es vielleicht das Beste wäre, wenn ich Leonor ganz offen sagen, dass Miguel und ich …« Sie machte eine verzagte Handbewegung.
»Daran hatte ich auch schon gedacht, aber jetzt …«
Zahra wischte sich über die Augen. »Und auch Gonzalo …«
»Vielleicht sollten wir schnell nach ihm sehen, meinst du nicht?«
Zahra nickte dankbar, denn es selbst vorzuschlagen, hätte sie nicht gewagt.
Als sie das Haus betraten, empfing Miguel sie mit dem erhobenen Stumpf einer der drei Tischbeine und konnte dem Schlag auf die Köpfe der vermeintlichen Eindringlinge gerade noch eine andere Richtung geben. »Beim heiligen Eustaquio, ich dachte, ihr wärt maurische Soldaten! Nie hätte ich damit gerechnet, dass ihr euch am helllichten Tag hertraut.«
Hayat erzählte ihm von Leonors hohem Fieber und den Sorgen, die sie sich um sie machten, während Zahra zu Gonzalo ging, sich vor ihn kniete und ihm über die schweißnasse Stirn strich. Sie erschien ihr weniger heiß, und das Flattern seiner Augenlider verriet ihr, dass seine Bewusstlosigkeit weniger tief als am Vortag war. Sie rief seinen Namen, woraufhin er kurz die Augen öffnete, aber sogleich wieder in den alten Zustand zurücksank.
Nach kurzem Zögern wickelte Zahra das Tuch ab, das sie in der Nacht lose um den Unterschenkel geschlungen hatten. Beim Anblick der Maden zog sie angewidert die Mundwinkel nach unten, aber die Wunde sah ein wenig besser aus. »Die bläulich-schwärzlichen Stellen sind kleiner geworden und die Wundränder weniger gerötet. Und seht hier!«, rief sie Miguel zu. »Die Todeslinie, sie ist zum Stillstand gekommen!«
Miguel, der seinen Arm um Hayat gelegt hatte, nickte. »Ja, die Maden scheinen gute Dienste zu leisten. Vorhin war Gonzalo sogar einmal kurz bei sich und hat von sich aus nach Wasser verlangt.«
Zahra
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