Die Maurin
Mann für mich wählen müssen? Und warum kann Gonzalo nicht gesund sein, mich ebenso lieben, wie Miguel Hayat liebt, und mir die gleiche Frage stellen?
Sie zog ihre Halbschwester an sich. »Selbst wenn deine Verbindung mit Miguel nach unseren Gesetzen eine Todsünde ist, denke ich doch, dass der Allmächtige seine schützende Hand über euch halten wird. Warum sonst hat er Miguel hier zu dir geführt?« Und bei sich dachte sie noch: Aber warum hat er mir diese neue Begegnung mit Gonzalo verschafft? Nur um mir das Herz schwerzumachen?
»Aber Leonor …« Hayat machte eine hilflose Geste. »Raschids Verschwinden und Yazids Überfall in der Seidenfarm haben sie so sehr angegriffen. Wie wird sie es verkraften, wenn ich einfach weggehe, und das gerade jetzt, wo die Geburt sie so mitgenommen hat?«
Beim Gedanken an ihre Mutter wurde es auch Zahra angst und bang. »Noch könnt ihr ohnehin nicht fliehen«, wich sie Hayats Frage aus. »Erst muss Gonzalo gesund werden, und dann,
inschallah,
so Gott will, können wir immer noch überlegen, wie wir Mutter schonen können.«
Nachdem Zahra Gonzalos Bein geschient, seine Stichwunde versorgt, ihm Wasser eingeflößt und Miguels Verband erneuert hatte, kehrte sie mit Hayat in ihr kleines Haus zurück. Alle schliefen friedlich; niemand schien ihr Weggehen bemerkt zu haben. Lautlos krochen sie unter ihre Decken.
Schon wenige Stunden später wurde Zahra von einem Wimmern und Maunzen geweckt, das wie das Jammern eines jungen, hungrigen Kätzchens klang. Zahra sah, dass der Tag schon graute. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen. Das Maunzen wurde vernehmlicher. Mahdi verlangte nach seiner Milch. Ihre Mutter aber schlief weiter. Leise erhob sich Zahra. Sie wollte den Kleinen auf den Arm nehmen. Vielleicht würde er sich durch Herumtragen noch ein Weilchen beruhigen lassen, so dass Leonor noch ein wenig ausruhen konnte. Behutsam hob sie den Arm ihrer Mutter, den diese schützend um Mahdi gebreitet hatte, und ließ ihn gleich wieder erschrocken sinken: Die Haut ihrer Mutter war heiß wie frisch gebackenes Brot!
Zahra stolperte zu Tamu und rüttelte sie an der Schulter.
»Tamu, wach auf, schnell. Mutter hat hohes Fieber!«
Die alte Berberin grunzte, kam aber sofort auf die Beine und legte ihre runzelige Hand auf Leonors Stirn.
»Beim Allmächtigen«, stöhnte sie, hob Leonors Bettdecke hoch und sah, dass ihr Unterleib in einer Blutlache schwamm. Hastig schob sie Leonors Nachtgewand hoch und untersuchte sie.
»Was hat Mutter denn? Gestern ging es ihr doch noch gut!«, rief Zahra bang.
»Vielleicht Kindbettfieber. Aber ich habe schon so viele Kinder zur Welt gebracht, und noch nie … Allah,
ta’ala,
er stehe mir bei! Und wie ihr Puls rast!«
Die Panik in Tamus Stimme ängstigte Zahra noch mehr als das Fieber und das viele Blut. Noch nie hatte sie erlebt, dass etwas die alte Frau in solche Aufregung versetzt hatte.
»Es steht schlimm um Mutter, nicht wahr, Tamu?«
Statt zu antworten, bettete Tamu ihr Gesicht in die Hände. Zuerst glaubte Zahra, sie würde weinen, aber dann nahm Tamu die Hände wieder herunter und rief: »Lauf zu der Hebamme, von der du den Hirtentäschel bekommen hast, und lass dir Wiesengeißbart geben. Meine Mutter hat damit einmal das Kindbettfieber bei einer Frau brechen können. Und bring auch Essig mit, und nun lauf schon zu!«
In Windeseile kam Zahra zurück. Außer Atem reichte sie Tamu das Tuch mit den gewünschten Kräutern. Auch Hayat und Zainab waren inzwischen auf den Beinen. Tamu befahl Zahra, die Kräuter zu zerstoßen, und Hayat, sich um eine Amme für Mahdi zu kümmern. »Geht direkt zu Ali al-Attar und lasst Euch unter keinen Umständen abwimmeln, hört Ihr! Es ist mir gleich, wie früh am Tag es ist. Wir können nicht zulassen, dass der Kleine Eurer Mutter beim Trinken die letzte Lebensenergie aussaugt, aber Milch braucht er, und zwar bald!« Zu Zainab sagte sie: »Und Ihr nehmt Hayat das Kind ab und tragt es weiter herum, damit es noch ein bisschen Ruhe hält!«
Zuvor hatte Zainab auf der kleinen Kochstelle Wasser erhitzt, in das Tamu nun die zerstoßenen Kräuter gab. Während der Sud zog, machte sie Leonor Wadenwickel, um das Fieber zu senken. Als die kalten, in Essigwasser getränkten Tücher ihre Beine berührten, stöhnte Leonor auf, öffnete aber nicht die Augen. Zahra sah, dass Zainab viel zu unruhig war, um das Kind zu besänftigen, und nahm es ihr ab. Sie wiegte Mahdi liebevoll im Arm und sang ihm das Schlaflied,
Weitere Kostenlose Bücher