Die Maurin
tote, schon halb verweste Katze aufgefallen, auf der es vor Fliegen nur so gewimmelt hatte. Das tote Tier lag noch immer am gleichen Fleck. Mit einem Stein zerlegte Zahra den übelriechenden Klumpen und fand, was sie suchte: fette, weißliche Maden, die sich in dem verwesenden Fleisch tummelten.
Und wie nehme ich die mit?, fragte sie sich. Schon beim Gedanken daran, die Maden anfassen zu müssen, schüttelte es sie vor Ekel. Schließlich breitete sie den Saum ihres Hidschabs über ihre Hand, schloss kurz die Augen, langte beherzt in die Maden hinein und rannte zurück zum Haus. Mit einem »Igitt« ließ sie die sich windenden Tiere vor Miguel auf den Boden fallen. »Auflegen müsst Ihr sie aber!«
»Zahra, Miguel, ihr werdet ihn umbringen!«, entsetzte sich Hayat, aber Miguel nahm eine Made nach der anderen, legte sie in Gonzalos Beinwunde und brummte: »Ich befürchte, viel zu verlieren hat er ohnehin nicht mehr.«
Ebenso angewidert wie fasziniert beobachtete Zahra, wie die gefräßigen Tiere sich sogleich an dem Wundfleisch zu schaffen machen.
»Sie werden ihm das Bein auffressen«, jammerte Hayat, woraufhin Miguel und Zahra gleichzeitig: »Ach woher!« riefen. Automatisch fuhren ihre Blicke zueinander, und Zahra musste lächeln. Es war ein kleines, sehr vorsichtiges Lächeln, das Miguel erwiderte, und Zahra fragte sich zum ersten Mal, was für ein Mensch Miguel eigentlich sei – und spürte im nächsten Moment die Antwort in sich, eine Antwort, die sie mit Ruhe und Zuversicht für Hayat erfüllte.
»Ihr … wollt vielleicht ein paar Minuten allein sein«, sagte sie leise, nickte den beiden zu und ging aus dem Haus, um einen Stock zu suchen, mit dem sie Gonzalos Bein schienen konnte.
Auf der Straße empfingen Zahra ein klarer Sternenhimmel und ein strahlender Mond. Sie hob den Blick zu den Gestirnen. Allmächtiger, dachte sie, was hast du vor mit mir? Erst hilfst du mir, Gonzalo und Miguel zu verstecken – und dann offenbarst du mir, dass der einzige Mann, zu dem ich mich je hingezogen gefühlt habe, einer anderen gehört. Warum weckst du Hoffnungen in mir, die nie erfüllt werden können? Und wie wird dieser Krieg hier weitergehen? Würde Ali al-Attar die Kastilier wirklich schon in wenigen Tagen wieder vertrieben haben? Auf jeden Fall fänden sie dann eher eine Möglichkeit, Miguel und Gonzalo aus der Stadt zu schaffen. Zahra erinnerte sich an Ali al-Attars Ankündigung, sie vielleicht schon am nächsten Tag in seinen Palast zurückholen zu lassen. Wie sollten sie sich von dort aus um Gonzalo und Miguel kümmern? Vor den Türen von Ali al-Attars Frauengemächern standen Haremswächter, und rund um den Palast waren Wachen aufgestellt. Unter keinen Umständen könnte Miguel es wagen, allein aus dem Haus zu gehen, um sich Essen zu beschaffen, und wenn Gonzalos Fieber noch weiter stieg und die Beinwunde trotz der Maden nicht heilte … Zahra biss sich auf die Lippen und verbot es sich, weiterzudenken. Einen Stock, ermahnte sie sich, ich brauche einen Stock, und für alles andere müssen wir zu gegebener Zeit Lösungen suchen!
Ein Stück weiter fand sie einen zerbrochenen Besen, der ihr geeignet schien. Als sie zu dem Haus zurückkam, trat gerade Hayat aus der Tür. Zahra sah, dass sie geweint hatte. »Geht es Gonzalo schlechter?«, fragte sie erschrocken.
Hayat schüttelte den Kopf. »Nein, nein, es ist nur, ach, alles einfach!« Erneut liefen ihr die Augen über.
»So rede doch!«
Ihre Halbschwester machte eine vage Handbewegung durch die Luft. »Miguel, er … er will, dass ich mit ihm fliehe …«
Obwohl Zahra insgeheim damit gerechnet hatte, sanken ihr Hayats Worte wie Steine in den Magen.
»Und du?«, erwiderte sie und hoffte, dass Hayat das Zittern ihrer Stimme nicht bemerkte. »Was willst du?«
»Ach, Zahra, du weißt, wie sehr ich diesen Tag herbeigesehnt habe und dass ich Miguel liebe. Miguel sagt, er hat nur deswegen an der Schlacht teilgenommen, weil sein Spitzel herausgefunden hat, dass wir uns hier aufhalten. Er hatte gerade alles vorbereitet, um mich von der Seidenfarm zu holen, als Vater mit uns aufgebrochen ist. Und wenn wir erst wieder zu Hause sind, wird Ibrahim uns mit nach Marokko nehmen. Dann beginnt alles von vorn: die Schikanen von Altaf, die nächtlichen Überfälle von Nusair … Zahra, ich will nicht dorthin zurück!«
Und ich will nicht Ibrahim heiraten, dachte Zahra. Zorn über die Ausweglosigkeit ihrer Lage brodelte in ihr hoch. Warum nur hat Vater gerade diesen
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