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Die Maurin

Die Maurin

Titel: Die Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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bin. Granada ist doch unser aller Heimat, und jetzt sollen wir schon wieder vor unseren eigenen Landsleuten fliehen? Beim Allmächtigen, hört das denn niemals auf?«
    »Nicht, bevor nicht entweder Boabdil oder Hassan gesiegt haben – oder az-Zagal oder die christlichen Könige. Übrigens habe ich gehört, dass Hassans Gesundheit weiter nachlässt. Sein Bruder nutzt seine Hilflosigkeit, um alle Macht an sich zu reißen – was für uns kaum vorteilhaft sein dürfte.« Raschid ließ sich auf einem Sitzkissen nieder und sah seinen Vater ernst an. »Wenn Ihr schon nicht an Euch denken wollt, so denkt wenigstens an Mahdi. Deborah, unsere Kinder und ich werden noch vor dem Mittagessen zur Seidenfarm aufbrechen, und sollten Hassans Soldaten auch dort ihr Unwesen treiben, folgen wir Boabdil nach Almería, was leider die einzige Region ist, in der man Boabdil noch die Treue hält.«
    Abdarrahman rieb sich über die Stirn. »Mahdi, ja, den Jungen müssen wir allerdings von hier wegbringen.« Er erhob sich. Seine Bewegungen waren so kraftlos und schwerfällig, dass es Raschid einen Stich versetzte. Wie sehr sich sein Vater seit dem Tod Leonors verändert hatte! Jeder Kampfeswille schien erloschen, er wollte nur noch seine Ruhe. Einzig Mahdi vermochte es, ihn ab und an aus seiner Lethargie zu reißen.
    Abdarrahman ging zum Fenster und blickte hinaus auf die Straße. »Wenn ich bedenke, welche Verluste wir allein in den letzten Monaten haben hinnehmen müssen«, stöhnte er. »Die Rückeroberung Zaharas, die Verheerungen durch die Christen in der Vega, die Überfälle auf unsere Schiffe und die unserer afrikanischen Verbündeten, und dann Antequera, wo Fernando zum ersten Mal diese eigenartigen Donnerbüchsen eingesetzt hat, die seine nordischen Söldner auf unsere Soldaten abgefeuert haben, und nach ihrem Sieg über Ronda haben sich ihnen zweiundsiebzig andere Orte kampflos übergeben. Sie verwandeln unsere blühenden Gefilde in rauchende Wüste, metzeln selbst jene nieder, die sich ihnen ergeben, vergewaltigen unsere Frauen, schänden sogar Kinder. Soll uns denn gar nichts von unserem al-Andalus bleiben? Ach, hätte sich Boabdil nur nie mit den Christen eingelassen. Nur dadurch hat er die Gunst des Volkes verloren!«
    »Vater, Ihr wisst genau, dass Boabdil mit den Christen paktieren musste. Hassan und az-Zagal sind und waren die eigentlichen Kriegstreiber! Alles fing damit an, dass sich Hassan geweigert hat, weiter Tribut an die Christen zu zahlen. Außerdem bringt uns Wehklagen nicht weiter. Bitte, Vater, rüstet Euch für die Flucht. Mahdi braucht Euch!«
    Abdarrahman strich mit versonnenem Blick über das abgegriffene Holz des Fensterrahmens. »Dieses Haus hat mein Vater gebaut. Ich bin hier geboren, habe mich hier von meinem Vater und meiner Mutter verabschiedet, als sie diese Welt verlassen haben, und außer Mahdi sind alle meine Kinder hier geboren. Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben. Und Almería …« Er schüttelte den Kopf.
    Heftiges Poltern, spitze Frauenschreie und harsche Befehle im Eingangsbereich schreckten Raschid auf. Er blickte zum Schreibtisch seines Vaters, wo sein Krummsäbel lag, doch noch ehe er sich in Bewegung setzen konnte, flog die Zimmertür auf, und sein Halbbruder Yazid stürmte mit zwei Soldaten ins Zimmer. »Da habe ich die beiden Verräter ja gleich beieinander!« Er richtete sein blitzendes, von den Christen erobertes Schwert auf Raschid und befahl den Soldaten, seinen Vater festzunehmen.
    Während sich Abdarrahman wortlos wieder zum Fenster umwandte, behielt Raschid seinen Halbbruder im Auge. Kalt und entschlossen baute dieser sich vor ihm auf. Raschid hatte nichts mehr zu verlieren, machte einen Hechtsprung zum Schreibtisch und ergriff seinen Krummsäbel. Noch ehe er ihn aus der Scheide ziehen konnte, stieß ihm sein Halbbruder das Schwert in den Rücken. Raschid ließ sich fallen und verhinderte damit ein tieferes Eindringen der Klinge. Nach einer Seitenrolle sprang er auf die Füße, zog den Säbel aus der Scheide und wehrte den nächsten Hieb Yazids kraftvoll ab. Sie umkreisten einander, Auge in Auge. Raschid stieß als Erster zu und streifte Yazids Arm. Wie ein wild gewordener Stier schoss dieser auf Raschid zu. Ihre Klingen kreuzten sich in Brusthöhe. Aus den Augenwinkeln sah Raschid, wie die beiden Soldaten seinem Vater die Hände auf den Rücken banden, was er stoisch und mit brennendem, auf seine kämpfenden Söhne gerichtetem Blick über sich ergehen ließ. Einer

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